Der Drache am Himmel
von so diffusen Emotionen infizieren ließ, verflucht! Ich war gekommen, um aufzuräumen, basta! Jäh stand mir der verkrüppelte Tutsijunge vor Augen, dem ich mehrmals in der Stadt begegnet war. Wie er mich angesehen hatte! Diese ahnungsvollen Augen! Wie hatten ihm Menschen so etwas antun können? So nämlich, dachte ich grimmig: indem sie ihn und sein Volk verteufelt hatten. Mit diesem perversen Trick konnte der sogenannte Mensch also sein Gewissen ausschalten. Der Kniff war zu absurd, eine Doppelschleife der Boshaftigkeit: Um böse Absichten ausleben zu können, unterstellt man dem Gegenüber böse Absichten. »Zum Teufel! Nicht mal dem Namen nach will ich damit noch etwas zu tun haben!«, zischte ich in die Dunkelheit.
3
Verzicht
S everin Belzer steuerte seine Morpheus mit einer Länge Vorsprung auf Henry Lauterbachs Caid durchs Ziel. Weil er damit zum dritten Mal in Serie die große Frühlingsregatta gewonnen hatte, würde ihm der begehrte Bellini-Pokal nun endgültig gehören.
Crews anderer Boote wollten allerdings bei der vorletzten Boje eine Regelwidrigkeit gesehen haben. Die Morpheus, weil die Schoten steuerbords, hätte der Caid den Vortritt lassen müssen. Er habe sich völlig fair verhalten, widersprach Severin. »Ich bin ja nur ein schwacher Mensch«, meinte der Pfarrer. »Aber beim Segeln sündige ich nie!«
Damit gab es im Clubhaus wenigstens ein neues Gesprächsthema. Noch am Morgen hatte alle Aufmerksamkeit dem exhibitionistischen Spinner gegolten. Seine Auftritte häuften sich. Heute hatte er wieder für Schlagzeilen gesorgt: Ein fünfzehnjähriges Mädchen hatte sich auf der Flucht vor ihm beim panischen Sprung von einer Mauer den Knöchel gebrochen. Man war sich einig, dass die Polizei schlief und der Täter höchstwahrscheinlich kein Einheimischer war …
Doch nun der angebliche Regelverstoß. Als dem Rennleiter der Regatta, dem Banker Loretan, ein offizieller Protest zuging, wollte er sich gleich bei der zweiten betroffenen Partei erkundigen. Aber Henry Lauterbach, erfuhr er am Telefon, befinde sich nicht mehr im Verlag. Er sei zur Eröffnung einer weiteren seiner Weiße-Eule- Buchhandlungen nach Düsseldorf gefahren und heute nicht mehr erreichbar. Also verschob Loretan kurzerhand Siegerehrung und Übergabe des Pokals auf den kommenden Samstag, an dem die Jahresversammlung des Clubs stattfand.
Severin schien die Verzögerung nichts auszumachen. Allem Anschein nach war er die Gelassenheit in Person und dafür gab es gute Gründe. Ihm war zugetragen worden, seine Berufung an die theologische Fakultät sei so gut wie sicher. Zudem hatten ihn wenige Tage zuvor einige Mitglieder des Segelclubs für den Vorstand vorgeschlagen. »Rein in die guten Jagdgründe«, hatte er strahlend verkündet, als er vom Telefon kam. »Andere Kandidaten scheint es nicht zu geben.«
Auch beim Abendessen auf der Veranda wirkte er entspannt. Die Sonnenbräune aus zwei Renntagen stand seinem hageren Gesicht gut. Sogar seine blässlichen Geheimratsecken hatten Farbe angenommen, allerdings ein wundes Hellrot – nicht besonders glücklich für einen Seebären.
Réa hatte ein Festessen vorbereitet. Den ganzen Nachmittag hatte sie schon in der Küche verbracht. Als Vorspeise gab es Seeteufel. Für den Hauptgang war ein Lammbraten vorgesehen. Sie hatte sogar noch die Zeit gefunden, sich die Haare zu waschen und den Verschluss ihrer Mondsteinkette zu reparieren, weil nur die zu ihrer indigoblau schimmernden Tunika infrage kam. Die hatte sie dann allerdings mitsamt der vorgesehenen Leggins auf dem Stapel ungebügelter Kleider entdeckt … Trotzdem hatte sie ihre gute Laune nicht verloren. Insgeheim war sie voller Vorfreude auf Severins Triumph. Diese Trophäe war ihm überaus wichtig. Der Erfolg würde ihm und damit ihnen beiden wieder Schwung geben, ein wenig Siegestaumel seine Grübeleien verscheuchen. Wenn nicht heute schon, dann sicher am Samstag.
Nur drei Gedecke waren aufgelegt, eins davon für Mama Rosa. Maurice war mit der Band unterwegs. Doch kurz bevor sie sich zum Essen setzen wollten, rief Rosa an, sie sollten schon mal beginnen, sie werde sich ein paar Minuten verspäten.
Gleichzeitig mit einem höflichen Specht an der Linde, der hörbar mit seiner Mahlzeit auf sie gewartet hatte, fingen sie mit der Vorspeise an. Severins Bemerkung, der Vogel hämmere wohl das Tischgebet, brachte Réa zum Lachen, worauf er sie entgeistert ansah. Erst jetzt fiel ihr die Anspannung um seinen Mund auf. Also doch! Der
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