Der Drache am Himmel
Jahr auf Hochglanz zu bringen. Mindestens!« Henry sei ein fabelhafter Sportsfreund, alles sei jetzt bien reglé und überhaupt: Congratulation! Severin wirkte verdutzt. Begriffen hatte er nur, dass er ab sofort zu Siegerlaune verpflichtet war.
»Henry, dieser Henry!«, sagte Rosa und schüttelte den Kopf.
»Ich habe ihn einfach angerufen«, rief Carla, um sogleich auszubreiten, wie das Gespräch verlaufen war. Zunächst hatte bei den Lauterbachs niemand abgenommen. Erst beim dritten Versuch sei es gelungen, Henry an den Apparat zu bekommen.
Er war freundlich – und völlig überrascht. Von den Zwistigkeiten hatte er nicht das Geringste mitbekommen, weil er nach der Regatta ja gleich weggefahren war. Als Carla ihm vom Protest der anderen Crews berichtete, meinte er: Wenn schon, wäre es an ihm gewesen, dem Betroffenen! So, wie er Severin kenne, hätte der einen Regelverstoß selbst gemeldet, wenn er sich denn eines solchen schuldig gemacht hätte. Nein, es könne keinerlei Zweifel bestehen: Severin sei eindeutig der verdiente Sieger!
»Damit bist du«, jubelte Aldo, »der Erste in der Clubgeschichte, dem das Triple gelungen ist.«
Rosa lächelte Severin zu.
Die nächsten Minuten waren ein einziges Loblied auf Henry Lauterbach. Aldo fand sein Verhalten gentlemanlike , Carla charakterlich einwandfrei. Réa bezeichnete es als selbstverständlich und Rosa als erstaunlich. Auch der Specht in der Linde meldete sich wieder und klopfte Applaus.
Stumm blieb nur Severin. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man die Runde jetzt gern auflösen können. Er hatte seinen Pokal. Und dieses ganze Gehabe um Henry Lauterbach konnte ihm geschenkt bleiben …
Liebend gerne wäre er jetzt allein gewesen, um seine Gedanken zu ordnen. Er verspürte das seltsame Gefühl, nicht zu begreifen, was vor sich ging; wie eine Ahnung, dass er eben gerade etwas übersah … Warum war ihm seine Mutter ausgerechnet heute mit diesen Andeutungen gekommen? Wie du mit deinen dunklen Räu men umgehst … Was sollte das! Sie wusste doch gar nichts von seinen dunklen Seiten. Wie auch?
Die Internatsleitung hatte ihn damals zwar ausgeschlossen, aber die Gründe dafür waren doch völlig unverfänglich. Die wussten ja auch nichts. Nichts von seinen Nachtgängen. Bloß die Entwendung der Prüfungsbogen aus dem Lehrerzimmer waren ihm und Aldo zum Verhängnis geworden.
Und später? Undenkbar, dass sie etwas mitbekommen hatte. Oder hatten Mütter übersinnliche Wahrnehmungen, was ihre Kinder betraf? Zwar hatte Severin sich Rosa immer näher gefühlt als seinem Vater, aber doch lange nicht nahe genug, um sich ihr anvertrauen zu können. Ob ich es gern getan hätte?
Er wusste es nicht. Mit Sicherheit wäre es ihm äußerst schwer gefallen. Rosa hatte immer unbefangen über Sexualität gesprochen, bloß war ihm ihre Offenheit eher peinlich gewesen. Einmal allerdings, es musste gegen Ende seiner Studienzeit gewesen sein, hatte sie ihn beim Verkleiden überrascht. Wenn er sich recht erinnerte, hatte sie keine Miene verzogen, obwohl die seltsamen Lederbandagen sie irritiert haben mussten. Viele Jahre war das her. Seither hatte er seine Süchte ja auch ziemlich im Griff. Vollständig, seit er und Réa ein Liebespaar waren!
Severin schüttelte unwillkürlich den Kopf. Die anderen sprachen immer noch über Henry, diesen »Teufelskerl«, wie Carla gerade sagte.
Henry war Severin in wenigen Monaten zum Freund und ihr Austausch sehr privat geworden. Sehr persönlich. Sie berührten Dinge, die er sonst ruhen ließ. Es tat ihm aber gut. Ihr Austausch ähnelte jenem mit dem jungen Aldo damals zur Internatszeit. Auch intellektuell waren die Begegnungen ein Genuss. Henry hatte doch tatsächlich seine letzten Publikationen in der theologischen Fachpresse aus dem Netz heruntergeladen und gelesen. Wenn das kein Interesse bewies … an ihm … am Aufbau einer Freundschaft …
»… ist es für Fiona und Fabio jedes Mal ein Fest.« Severin versuchte sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Carla schien immer noch von Henry zu schwärmen. »Bei den beiden schlägt er immer genau den richtigen Ton an. Es gefällt mir, wie ernst er sie nimmt. Und dass es ihm offenbar nie an Energie fehlt.«
»Ganz im Gegensatz zu mir«, schaltete sich jetzt Aldo ein. »Meine geliebte Ehefrau findet nämlich, ich müsste mir mehr Zeit für die Kinder nehmen.«
»Anders als du führt dieser Henry keinen Konzern«, sprang Rosa ihm bei.
»Aber auch nicht bloß einen Tante-Emma-Laden«, warf
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