Der Drache am Himmel
zu sprechen, die seit drei Jahren ständig schlechter wurde.
Aldos Berufsleben war eine Leidensgeschichte, die mit dem Testament Salvatore Bellinis ihren Anfang genommen hatte. Die Stimmrechte der Holding werden wie folgt aufgeteilt … Was der Alte seinem Sohn zu Lebzeiten mit väterlicher Regelmäßigkeit mündlich erläutert hatte, gab er ihm nach seinem Ableben auch schriftlich zu verstehen: Sohn, du bringst es nicht!
Und vielleicht hatte er damit gar nicht einmal so unrecht, dachte Severin. Aldo war in der Tat der geborene Aussitzer – auch dies eine der freundlichen Redewendungen des Alten. Salvatore hatte die Konsequenzen gezogen und achtzig Prozent der Stimmrechte an der Holding einer Stiftung übertragen, die treuhänderisch den Erbanteil seiner vier Töchter aus erster Ehe verwaltete. Der Stiftungsrat, gegen den gar nichts lief, bestand aus vier Weggefährten Salvatores. Aldo bekam darin einen Sitz und auf seinem Visitenkärtchen durfte er sich als Chief Executive Officer ausweisen. Bloß dass der Alte in seinem Testament das Firmenkonglomerat in drei höchst ungleiche Geschäftsfelder aufgesplittet hatte. Und Aldo der CEO des kleinsten wurde.
»Es läuft nicht mal schief, es läuft gar nichts mehr, un disastro «, sagte Aldo und lachte, als wäre das eine unwiderstehliche Pointe.
Severin blieb jedoch ernst. »Vielleicht siehst du ja auch alles zu schwarz«, versuchte er seinen Freund zu beruhigen.
»Mein Blick ist nicht das Problem! Ich fand schon immer, dass rote Zahlen kein Grund sind schwarzzusehen.« Wieder lachte er. »Aber die smarten Jungakademiker, die mir der Stiftungsrat durch die Hallen gejagt hat, sind da nicht so entspannt.«
Severin wusste, dass seit Jahresanfang ein Team von Unternehmensberatern die Fabrikation durchforstete: »Also liegt dir der Bericht schon vor?«
»Wenn er nur mir vorläge, könnte ich mir damit in aller Ruhe den culo abwischen. Aber leider liegt er auch meiner Hausbank vor, worauf die Jungs dort in eine gewisse Panik geraten sind.« Aldo zog sich seinen Schal enger um den Hals und schnappte ostentativ nach Luft. »Das habe ich zu erwarten.«
»So schlimm?«
»Die Banker reden von ›Notbremse ziehen‹. Aber das ist nur ein vornehmer Ausdruck für Erdrosseln! Wenn die mir die Kreditlinie kündigen, dann … Ich habe nur eine Chance: Henry. Der ist bei derselben Bank. Offenbar ist man dort von seinen Erfolgen sehr beeindruckt. Und er hat mir fest versprochen, ein gutes Wort für mich einzulegen.«
Henry! Wieso war Henry eingeweiht? Severin war irritiert. »Henry Lauterbach? Du berätst dich in geschäftlichen Dingen mit unserem esoterischen Verleger?«, fragte er bemüht sachlich.
Es habe sich so ergeben, erklärte Aldo. Einige Male habe er sich mit Henry zum Mittagessen getroffen. Der Gedankenaustausch hätte sich als ergiebig und Henry selbst nicht nur als vertrauenswürdig, sondern auch als vertrauensvoll erwiesen, hätte er Aldo doch ohne viel Tamtam in seine Verlagsgeschäfte eingeweiht. Und ihm dabei auch Dinge verraten, die Außenstehende eigentlich nichts angingen. Da schien es Aldo nur angemessen, sich zu revanchieren. »Weißt du, letztlich ist Geschäft immer Geschäft, egal in welcher Branche. Darüber hinaus ist mir aufgefallen, dass Henry über ein ungeheuer großes Einfühlungsvermögen verfügt. Und blitzschnell analysieren kann. Seine ersten Anregungen waren jedenfalls verdammt clever«, schloss Aldo.
Eifersucht! Ich bin eifersüchtig wie ein kleiner Junge. Severin hatte die freundschaftliche Nähe der beiden Männer nicht mitbekommen. Und? Das ist noch lange kein Grund, irritiert zu sein, schalt er sich. Er selbst hatte doch genau dieselben Erfahrungen gemacht wie Aldo. Henry war tatsächlich ein feiner Kerl und ein kluger Kopf. Ein Mensch mit weitem Horizont, inspiriert, hilfsbereit und lebendig. Einer, der sich sogar die Mühe machte und Artikel aus dem Netz lud, um den Austausch mit ihm, dem Theologen, zu verbessern. Nicht aus Geltungssucht. Nicht aus Wichtigtuerei. Sondern einfach so, ohne Berechnung, aus reiner Freude am Disput. Das war doch fabelhaft!
Warum also missgönnte er Aldo, der doch sein bester Freund war, Henrys Zuwendung? Wie klein war er manchmal, wie peinlich seine Missgunst! »Entschuldige!«, brummte er.
Aldo, der ahnte, welcher Geist sich da eben eingemischt hatte, hob Severin sein Glas entgegen. Mehr war nicht nötig. Wortlose Übereinstimmungen dieser Art machten ihre Verbundenheit aus.
Damit hatte ihre
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