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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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Groll gespürt haben. Sie sprach ihn nämlich eines Tages darauf an, das heißt, sie schockierte ihn mit der Frage: Hättest du vielleicht lieber einen wie Salvatore zum Vater ? Beschämt, weil er sich ertappt fühlte, verneinte er heftig. Doch Rosas Provokation zeitigte eine erstaunliche Wirkung. Ihm wurde bewusst, dass sein Vater zwar langweilig und traurigen Gemüts war, ihn aber immer respektvoll behandelte. Und plötzlich erkannte er, mit wie vielen Demütigungen Aldo seine Privilegien bezahlen musste. Fast über Nacht verlor sein Neid die Schärfe. Ein Rest Missgunst hatte sich erhalten, ihre Freundschaft aber wurde dadurch nie mehr gefährdet.
    Als Severin achtzehn war, starb sein Vater, ironischerweise ausgerechnet an der Herzkrankheit, für deren Heilung er zwanzig Jahre lang unermüdlich durch die Lande gereist war. Nach der Beerdigung empfand er eine unbestimmte Form von Selbstmitleid. Als Halbwaise, davon war er überzeugt, hatte er ein Recht auf die tiefe Einsamkeit, in der er sich von Kindesbeinen an befand. Bekam er später einmal einen seiner seltenen Anfälle von Sehnsucht nach seinem Vater, erinnerte er sich stets auch an die unglaubliche Frage seiner Mutter. Hättest du vielleicht lieber einen wie Salvatore zum Vater ? Als wäre das eine Alternative gewesen. Unwillkürlich entfuhr ihm laut: »Väter!«
    »Wie kommst du denn jetzt darauf?« Wenn Aldo enttäuscht war, dass Severin nicht auf seine nächtlichen Wahnvorstellungen reagiert hatte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Aber vielleicht hatten auch seine Gedanken merkwürdige Pfade beschritten. »Väter – ja, das ist schon ein Kapitel für sich. Aber deiner war doch eigentlich ganz nett. Ein bisschen ruhig vielleicht, aber nett.«
    »Das war er, stimmt.«
    Aldo schenkte wieder nach. Sie tranken, schwiegen.
    Als im oberen Stock des Pfarrhauses das Licht ausging, wurde es im Garten dunkler und seltsamerweise auch kühler. Beide fröstelten. Mantel und Decken reichten nicht mehr, um sie zu wärmen. Aber keiner machte Anstalten aufzubrechen. Wieder goss Aldo sich und seinem Freund nach. Aber diesmal stippte Severin bloß das Glas an den Mund und stellte es zurück. Dann räusperte er sich und sagte: »Du, das, was du vorhin … Das mit der Bank und deinen Ängsten … Du solltest mit Carla sprechen. Sie hat ein Recht …«
    »Ach, ich weiß nicht. Eigentlich weiß ich gar nichts mehr im Moment. Eigentlich … nicht einmal, wie es gegenwärtig um unsere Beziehung bestellt ist. Überhaupt: Manchmal denke ich, wir sind ein regelrechtes Eigentlich-Paar. Eigentlich haben wir es ganz gut. Eigentlich liebe ich sie immer noch. Und ich glaube, sie mich eigentlich auch. Nur verbringen wir eigentlich kaum noch Zeit zusammen. Eigentlich nehme ich mir täglich vor, endlich mal wieder meine Gitarre hervorzukramen. Und eigentlich bin ich Carla wohl ein wenig zu dick geworden …« Aldo fasste sich theatralisch an seinen Bauchwulst und zog eine Grimasse. Es war nicht nur als Ulk gemeint. Severin musste sich dennoch ein Lachen verkneifen.
    »Ja, mach du dich nur lustig über mich!«, knurrte Aldo. »Aber vielleicht erinnerst du dich noch, dass Carla früher immer gesagt hat: In der Jugend schön, im Alter reich. «
    »Das war doch nicht ernst gemeint.«
    »Und wenn nun beides wegfällt, die Jugend und der Wohlstand im Alter? Schließlich gehören auch die Villa und das Grundstück der Firma. Wenn die also den Bach runtergeht …«
    »Nun mal nicht gleich den Teufel an die Wand.«
    »Ihr habt gut reden. So was Ähnliches sagte schon Henry. Und überhaupt: Mir ist kalt und wir sprechen wieder mal nur von mir. Dabei hast du heute den Pokal geholt! Eigentlich müsste er hier auf dem Tisch stehen, das müsste er.« Aldo sprang auf: »Das ist es doch! Ho un’idea brillante . Eine Superidee! Alles, was recht ist!«
    Aldos Abenteuerlust besiegte Severins Vernunft. Früher seien sie nicht so vorsichtig gewesen. Was bloß aus ihnen geworden sei? Aldo ließ sich sein Vorhaben nicht ausreden, zumal er entdeckt hatte, dass er zufällig den Schlüssel zum Clubhaus im Sakko hatte. Auch Severins letzten Vorbehalt, sie seien zu betrunken, wischte er grinsend weg: »Deshalb gehen wir zu Fuß, wie früher. Ich kenne einen Schleichweg.«
    Der bestand aus ein paar fahrlässigen Sprüngen über Mauern, um durch die Gärten dem See entlang zum Clubhaus vorzustoßen. Die Nacht war dunkel. Doch je häufiger sie stolperten, desto ausgelassener wurde Aldo. »Jammerschade! Zu

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