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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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alles Mögliche plaudernd, die ersten hundertfünfzig Kilometer hinter sich gebracht hatten: besuchte oder verpasste Filme, YouTube und der neue I-Store für Klamotten, der Tutsijunge, die Sans Papiers und das weltweite Chaos überhaupt. »Schade, dass die Hippies damals nicht gewonnen haben«, hatte Lilith geseufzt. Vorsichtig hatten beide vermieden, über und von sich selbst zu sprechen. Schön war es dennoch gewesen.
    Doch die Zeit neben der schlafenden Lilith war für Maurice die reine Glückseligkeit. Zum Einschlafen hatte sie sich von ihm abgewandt. Ihr Gesicht blieb ihm verborgen. Unruhig suchte sie lange nach mehr Bequemlichkeit. Irgendwann tauchte sie weg und drehte ihm ihr Gesicht zu. Immer wieder blickte er sie an. Erstmals, dass er sie schlafend sah. Er war entzückt, befangen … Ernst und scheu schaute sie aus. Aber vielleicht war es sein scheuer Blick, der sie so wahrnahm. Manchmal zuckten ihre Lippen, einmal murrte sie wie empört. Sie träumte wohl. Er fuhr und fühlte sich unendlich glücklich, weil sie sich ihm im Schlaf anvertraute. Seltsam, dass auch er sich geborgen fühlte wie noch nie. Was immer er mit den Kumpels in der Band über die sogenannte Liebe besprochen hatte: Das hier war ganz anders.
    Lilith wachte auf, blinzelte Maurice an und sagte in bestem Schulfranzösisch: » Où sommes-nous? « Sie streckte und reckte sich und stöhnte: »Mit einem ›Grafen‹ auf dem u . Weil nämlich auf der Oder keine schwimmen.«
    »Guten Morgen, hochverehrte Gräfin!«, sagte Maurice munter.
    Diese Lilith! Tage hatte er gezaudert, sie zu fragen, ob sie mitkommen wolle. Und als er es vorgestern dann endlich hinkriegte, hatte sie mit zwei Worten alles klargemacht: »Sicher! Wann?«
    Heute früh um fünf waren sie losgefahren – ohne Rosa. Die hatte sie am Vorabend mit der Erklärung überrumpelt, sie wolle doch lieber mit dem Zug fahren. »Meine Gelenke, ihr Lieben!« Im Zug könne sie sich etwas mehr Bewegung gönnen. Aber natürlich würden sie dort unten einen Wagen brauchen. Ob sie beide nicht einfach …? Man würde sich abends im Haus treffen.
    Lilith war sogleich dafür gewesen, worauf Rosa ihnen wie selbstverständlich den Schlüssel sowie ein Papierröllchen überreicht hatte. »Gebrauchsanleitung!«, hatte sie gemurmelt und eine vergnügliche Fahrt gewünscht. »Nehmt euch Zeit!«
    Nach Straßburg übernahm Lilith das Steuer. Langsam dämmerte der Tag. Maurice entrollte die Gebrauchsanleitung und entzifferte Rosas Schnörkel. Der große Schlüssel passt zur Hoftür. Der eigentliche Hausschlüssel liegt … Die Sicherung für den Kühlschrank ist … Der Schalter fürs Warmwasser befindet sich … Frische Bettwäsche … Der »fliegende Bäcker« … Nachdem Maurice die ganze Liste vorgelesen hatte, sagte Lilith nur: »So eine Großmutter hätte ich auch gern.«
    »Meine ist sie ja auch nicht.«
    »Was?«
    »Sie ist Severins Mutter.«
    »Sieh mal einer an!«, sagte Lilith. »Das ist seltsam. Ich meine, Severin und Rosa passen irgendwie nicht zusammen.« Nach einem Zögern fügte sie lachend hinzu: »Aber zu dir passt Mama Rosa gut.«
    »Wie meinst du das?« Bedachtsam faltete Maurice die Liste zusammen.
    »Ich weiß auch nicht.« Lilith blickte angestrengt auf die Straße, als erfordere der Verkehr höchste Aufmerksamkeit. Dabei waren erst wenige Autos unterwegs. Es trat ein längeres Schweigen ein, bis Lilith meinte, dann sei Rosa ja im Grunde Maurice’ Stiefgroßmutter, und das fand sie vielversprechend. Es heiße doch, zu seiner Großmutter habe man die bessere Beziehung als zur Mutter. »Also sind logischerweise auch Stiefgroßmütter besser als Stiefmütter. Höchste Zeit, dass sich mal ein Märchendichter um dieses Thema kümmert.« Lilith blickte ihn mit schelmischen Augen an, als ob sie ihm eine höchst provozierende Erkenntnis zuspiele.
    »Moment mal«, sagte Maurice verwirrt, weil er ihren Blick nicht deuten konnte.
    »In den Märchen kommen auch keine Stiefväter vor. Auch das ist ein arg vernachlässigtes Thema.«
    »Ja, schon …« Worauf wollte sie hinaus? Spielte sie auf ihren eigenen Stiefvater an? »Henry zum Beispiel?«
    »Der passt in gar kein Märchen. Der ist ein Fall für sich.« Dass Henry der netteste Kerl weit und breit sei, das wisse ja jeder. Bei allen sei er beliebt, so freundlich, hilfsbereit und zuvorkommend, wie er sich gebe. Maurice war, als spucke Lilith die Charakterisierung nur so heraus: erfolgreich, locker, vertrauenerweckend, charmant. »Dieser Typ hat

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