Der Drache am Himmel
hören die Schreie … Alles wird der Gewinnsucht untergeordnet … Tod aus Armut … stündlich fast tausend Menschen …«
Die Illustration schien nicht zu dem Artikel zu passen. Sie zeigte eine Einrichtung, die vermutlich dazu diente, schwere Kaffeesäcke zu verladen, eine Art Rutsche. Die Legende offenbarte meine ganze Naivität. Mit dieser Rutsche waren die Sklaven ins Innere der Schiffe befördert worden. Frauen, Männer, Kinder als Stückgut! Ich lehnte starr in zweien meiner vier Kissen, schmeichelnd satiniertes Betttuch auf meiner Haut. Achtung, wieder ein Sack! Um mich herum ein großer Raum mit geschmackvollen Sesseln, an den Wänden der Schimmer raffiniert versteckter Lichtquellen. Wieder ein Sack! Die Klimaanlage summte leise.
Ich dachte an Aldo, dessen Verlies wahrscheinlich keine Sessel hatte, aber auch keine Rutsche als Ausgang. Und ich dachte, dass sowohl er wie auch ich zur Rasse dieser weißen Teufel gehörten, die hier gewütet hatten. Vielleicht war mein Experiment ein Widerspruch in sich selbst – irgendwann schlief ich ein.
Ich erwachte früh und wollte nur noch raus aus dieser Festung. Duschte, wehrte in der Halle alle Versuche ab, mich zum Breakfast zu lotsen, und schob mich durch die Drehtür. Vier oder fünf Taxen preschten gleichzeitig heran. Ich hastete vorbei. Ich wollte versuchen, mich mit einem dieser Kleinbusse, die hier Trottos heißen, zu dem Anwalt in Korle Lagoon durchzuschlagen. Notfalls auch zu Fuß. Die Luft war so früh am Tag noch angenehm kühl, aber bereits mit Abgasen durchtränkt. Lärm und Farben betäubten mich. Männer priesen mir einmalige Schnäppchen und als Dreingabe ihre Freundschaft an. Ich blieb tapfer bei dem ersten Satz, der mir eingefallen war: » Sorry, Aldo is waiting for me. « Kaum näherte ich mich einer Straßenküche, wurde ich von Kinderhänden am Arm gezogen. » Chop bar, Obruni, tea bread, chop bar … « – » Aldo is waiting for me «, ich sang es jetzt beinahe und zog weiter, belacht von den Halbwüchsigen dieser verrückten Stadt, die sich wendig durch das Gewühl von Leibern und Autos schlängelten, während ich mich nur mit waghalsigen Sprüngen retten konnte.
Schließlich brauchte ich eine Verschnaufpause. Der Kaffee an der Chop Bar war dünn, das Brot pappig, aber die beiden Bananen, die ich mir gönnte, waren köstlich. Ich schaute auf die Uhr: Bereits eine Stunde unterwegs. » Nice watch «, lobte ein Schwarzer im prachtvoll orange leuchtenden Blouson neben mir. Hätte er mir einen Tausch vorgeschlagen, ich hätte sofort zugestimmt. Natürlich erwiderte ich nur, dass Aldo auf mich warte. Er wollte wissen, wann. Ich war perplex und lachte. Er lachte auch. Ich lobte seinen Blouson. Er grinste: » I keep it myself .« Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, wiewohl sie nur eine halbe Stunde dauerte. Ich glaube, wir mochten uns auf Anhieb. Er war Musiker. Hatte schon halb Europa und Asien bereist. Das Wetter gehasst, gute Menschen getroffen, vor dem Dalai Lama gespielt. So traf es sich, dass er mich mit einer Weisheit entließ (nachdem er mir, weil ich seine Wegbeschreibung nicht begriffen hatte, ein Taxi herbeigewinkt und den Preis ausgehandelt hatte): Das Leben ist voller Gewissheit. Denn alles liegt in uns. Von diesem Moment an mochte ich Accra. Jetzt war ich bereit, wofür auch immer.
Aziz Akonnor, Anwalt in perfekt vanillefarbenem Leinenanzug, beeindruckte mich durch sein noch perfekteres Grußritual. Nach einer schwungvollen Geste schwebte seine Brille neben seinem Kopf, während er sich federleicht verbeugte und mir die gepflegte Rechte anbot. Nachdem er mir versichert hatte, Aldo gehe es den Umständen entsprechend gut, klappte er eine Mappe auf. Ob ich bereit sei, fragte er. Dann schob er mir einige Fotos hin. Sie zeigten Halbwüchsige, nur mit kurzen Hosen bekleidet, etwa zwölf-, dreizehnjährig. Die haben Lepra, schoss es mir durch den Kopf. Die Krankheit war vor allem an Unterarmen und Händen erkennbar, bei einigen auch an den Beinen, bei einem sogar im Gesicht. An den schlimmsten Stellen wirkte die Haut wie verbrannt und verschorft. Einige der Jungen und Mädchen hielten verschämt die Hände vors Gesicht. Niemand blickte in die Kamera.
»Was Sie da sehen, sind Verätzungen. Von Chemikalien verursachte Verätzungen.« Akonnor hatte sich die Brille wieder aufgesetzt, behielt mich über ihren Rand im Blick. Ich begriff nichts und ahnte alles. Spürte, dass er eine Reaktion erwartete. Hielt er mich für
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