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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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um mir dann, nun ganz nah an meinem Ohr, zuzuzischeln: Anmaßend! Ignorant! Gnadenlos! Ich schreckte auf, auch weil sich eine Hand in meinen Bauch krallte und meine Nachbarin fauchte: »Y ou’re such an ignorant. Wake up, wake up. «
    » Please! « Ich stemmte mich hoch, schob meine Decke weg und wie als Reaktion kam die Stimme des Piloten, der sofortiges Anschnallen befahl. Meine Lehne war noch am Zurückfahren, als das Flugzeug wegsackte. Ich hatte noch nie etwas Vergleichbares erlebt. Eine feiste Kraft stieß uns einfach ins Bodenlose. Das Licht erlosch. Ada war noch geistreich genug zu rufen, typisch, dass auch die Warnungen immer mit Verspätung kämen, dann übergab sie sich. Passagiere schrien. Das Licht flackerte wieder auf. Ein Rumpeln rollte durch die Maschine; Licht aus, wieder an, dann kam der Flieger zur Ruhe. Eine Flugbegleiterin rannte an uns vorbei und rief, alles sei okay. Mein Blick fiel auf das von Erbrochenem verschmierte Gesicht meiner Nachbarin. Ich rupfte meine Serviette aus der Sitzklappe und bot sie ihr an. Ich sehe noch genau die Hand, die nach dem Tuch griff. Und da sackte die Maschine erneut ab. Das Tuch entglitt mir, ich klammerte mich an die Lehne, dafür behandelte irgendjemand meinen Magen, als sei er ein auszuwringender Lappen – durchaus erfolgreich, denn ich übergab mich augenblicklich, während sich das Flugzeug ein letztes Mal schüttelte. Niemand traute der Normalität, die unvermittelt wieder da war. Das Licht brannte. Der Kapitän entschuldigte sich für die verspätete Warnung und sagte, dass die kritische Zone nun hinter uns liege. Ich war völlig konsterniert. Der Doppelschlag hatte mich nachhaltig verunsichert. Das Erbrochene auf meinen Schenkeln stank. Die Aufregung in der Kabine entlud sich in schrillen Protesten. Mit bitterer Ironie dachte ich, nur einem Teufel käme diese zweistufige Dramaturgie in den Sinn …
    Ich glaube, die letzte Flugstunde bis Accra verbrachten die meisten Passagiere damit, sich wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Mir gelang das nicht so schnell wie Ada. Als wir feuchtwarme Lappen erhielten, um uns notdürftig zu reinigen, musste ich ihre handfeste Unterstützung abwehren. Kurz vor der Landung sagte sie mit Blick auf meine Gesichtsfarbe und liebevollem Spott, dass ich offensichtlich wirklich nicht gegen Gelbfieber geimpft worden sei.
    Akwabaa! leuchtete mir beim Aussteigen entgegen. Willkommen in Ghana! Auch dampffeuchte Luft, öliger Geruch und Gelärme begrüßten mich. Mag sein, dass die Beamten um unsere Prüfung am Himmel wussten; ihre Visa- und Passkontrolle hielten sie jedenfalls kurz, die Koffer der Erste-Klasse-Reisenden standen bereits da, die Gepäckkontrolle fiel aus. Ada winkte mir zu, inklusive Kuss aus spöttischer Wurfhand. Ich kam schnell durchs Gewühl, ganz durchdrungen von der Erkenntnis, dass das Paradies darin besteht, mit beiden Füßen auf festem Boden zu stehen. Meine letzte Kraft verbrauchte ich für eine möglichst höfliche Abwehr rabiater Kofferträger. Gerade als ich kapitulieren wollte, entdeckte ich hinter den Sperrgittern den Fahrer des Labadi Beach Hotels; das Schild, das er hochhielt, galt mir. Akwaaba! Der Marokkaner war offenbar ein zuverlässiger Mensch.
    Weil ich nicht einschlafen konnte, doch weder Buch noch Zeitschrift mithatte, durchforstete ich akribisch die Ledermappe mit den 24 hours Services des Hotels. Es gab alles zu jeder Zeit. Das Hotel musste voller dienstbarer Geister sein. Auch um Mitternacht waren Haarschnitt oder Massage, auch um vier Uhr nachts das vollständige Dinner im Zimmer garantiert. Ich las mit Staunen und Ekel. Auch hier war die Welt zweigeteilt wie eh und je in bediente Herrschaften und Heerscharen dienstbarer Geister. In der letzten Klarsichtfolie, über die Angebote der Hotel-Boutiquen geschoben, stieß ich auf einen Zeitungsartikel aus der Herald Tribune : »Das Bekenntnis von Accra. Ein Aufruf an die Welt des Evangelischen Weltbundes.« Wie mochte dieser Schrei nach Gerechtigkeit über die Glanzbilder von Goldschmuck und Abendkleidern geraten sein? Von einem zornigen Zimmermädchen heimlich in diese Fibel der Genüsse geschmuggelt? Ich las weiter:
    »… besichtigten wir die Sklavenverliese von Elmina, wo zwei Millionen Männer, Frauen, Kinder zusammengepfercht, verkauft und dem Schrecken von Unterdrückung und Tod ausgesetzt wurden. Der Aufschrei ›Nie wieder!‹ wird durch den heutigen Menschenhandel und die skandalös ungerechte Weltwirtschaft Lügen gestraft … Wir

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