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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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dass er etwas klären wollte. Mir schien, er frage mich, ob ich fähig sei, seinen Blick zu verstehen. Und obwohl er keine Miene verzog, las ich so etwas wie ein Angebot heraus. Zu erklären war es nicht, aber der Blickkontakt brach erst ab, als wir uns wie heimlich darauf verständigt hatten, etwas voneinander zu wollen –
    Akonnor ergriff das Wort und fragte, was ich naiverweise für sehr riskant hielt: Wo denn die Fotos seien, die die Anklage angekündigt habe? Der Richter neigte sich gespannt nach vorn und starrte auf den Ankläger. Wortreich bedauerte der, diese »erschütternden Dokumente« nicht vorlegen zu können. Die Untersuchungsbehörden hätten sie nicht freigegeben, da sie leider nicht datiert werden könnten. Nachdem er vor Akonnor noch eine Verbeugung angedeutet hatte, verzog sich der Ankläger wieder an seinen Platz.
    Noch waren keine zehn Verhandlungsminuten vorbei und schon schlug der Richter mit seinem Hammer auf den Tisch: »Klage abgewiesen!«
    Unmittelbar darauf schoss er um seinen Tisch herum, griff sich den Ventilator, der vor Akonnor stand – es war der einzige im ganzen Raum –, schätzte kurz die Länge des Kabels ab, worauf er ein Grunzen hören ließ, und bereits stand das Kühlgerät auf dem Richtertisch. Der Ankläger hatte die Aktion grinsend, Akonnor konsterniert verfolgt, während ich von der Entdeckung in Bann geschlagen wurde, dass sich der Haarpelz der Voodoo-Masken zu wellen begann.
    »Nicht das Gold macht Ghanas wahren Reichtum aus. Die Kultur ist es!«, sagte der Richter ausnehmend gelassen, als habe es kein Zwischenspiel gegeben. Doch dann schrie er: »Kultur ist die Seele eines Volkes. Und wer sich an der ghanaischen Kultur vergreift, zerstört unsere Seele!« Aldo, der seit dem befreienden Hammerschlag zu einer gewissen Haltung zurückgefunden hatte, sackte wieder in sich zusammen. Und der Richter geriet in Fahrt:
    »Artenreich wie der Urwald ist unsere Kultur! Und wie für den Urwald jedes einzelne Lebewesen und jede einzelne Pflanze wichtig sind, so ist auch das kleinste Kunstwerk Teil eines großen Ganzen. Denn alles hängt mit allem zusammen. Wer einen Baum fällt, schadet dem ganzen Urwald. Und wer, wie Sie, Mr Bellini, ein Kunstwerk stiehlt, schadet unserem ganzen Volk. Ich werde nicht zulassen, dass die Profitgier uns unserer schönsten Zeugnisse beraubt«, schrie er und das Wölkchen flatterte, als ob es diesem Schädel am liebsten entkommen wäre. (Ich dachte: Sein Zorn ist nicht gespielt. Dieser Mann sucht Gerechtigkeit. Dass er bisher den Hanswurst in diesem Schmierentheater gegeben hat, muss ihn tief in seiner Ehre verletzt haben.) Akonnor und der Ankläger wirkten verunsichert. Dass der Maskenraub zur Anklage kommen würde, war abgesprochen, nicht aber, dass diese Lappalie zu einem Kapitalverbrechen erklärt würde. Akonnor tuschelte dem Ankläger etwas zu, woraufhin beide zum Richterpult eilten und die Köpfe zusammensteckten. Jetzt suchte Aldo meinen Blick. Seine Augen waren starrer als die der Masken.
    Akonnor kam zurück, zog mich zu Aldo und raunte uns zu: »Nicht ungefährlich, was da läuft. Plötzlich droht der Vorsitzende mit einem Verfahren vor dem großen Tribunal. Und dort kann nur ein Wunder eine Gefängnisstrafe verhindern. Trotzdem bin ich mir sicher, dass seine Empörung bloß ein Schachzug ist.«
    »Sein Stolz ist verletzt«, widersprach ich, »es geht um sein Gerechtigkeitsempfinden.«
    »Stolz? Der doch nicht!« Aus Akonnors Blick sprach Verachtung. Vermutlich galt sie sowohl dem Richter als auch mir, dem unbedarften Obruni .
    »Holt mich hier raus, bitte. Henry, bitte. Tu sei il mio angelo custode! « Aldo war kurz davor, in Schluchzen auszubrechen.
    Vom Richtertisch kam ein Hammerschlag: Die Verhandlung sei für eine Viertelstunde ausgesetzt.
    »Verfluchte Schweinerei«, sagte Aldo.
    Zum Entsetzen Akonnors ging ich, einer spontanen Eingebung folgend, zum Richtertisch. Ob er mich bitte kurz anhören würde, fragte ich.
    »Offiziell?«
    »Nein.«
    »Wer sind Sie überhaupt?«
    »Nur der Bote.«
    Er runzelte die Stirn, dann grinste er, seine Augen glitzerten vieldeutig. Und aus diesem Glitzern sprang etwas auf mich über. Ich fühlte, nein, wusste, dass wir beide in diesem Augenblick eine heimliche Brüderschaft besiegelten.
    »Ihr Freund?« Seine winzige Kopfbewegung wies auf Aldo.
    »Ich bin hier, um ihm zu helfen.«
    »Ah!«, sagte er. Seine Finger klopften rhythmisch aufs Holz. »Kommen Sie!« Mir voran begab er sich zur Tür. Voodoo,

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