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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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Nicken und scheuen Blicken auf mich, als müsse er klären, ob ich Akonnors Taktik durchschaue. Zu seiner Beruhigung machte ich ein munteres Gesicht. Leicht fiel mir das nicht, denn immer stärker reizte der Fäkalgeruch meine Schleimhäute. Wände und Boden waren mit Flecken übersät, deren Färbung dem Gestank entsprach.
    Nach mehrmaligem Räuspern brachte Aldo hervor: » Quanto ci vuole ancora? «
    »Die Verhandlung ist auf Mittwoch angesetzt«, antwortete Akonnor, »also dürfen wir von Donnerstag oder Freitag ausgehen. Ich tue mein Bestes, Mr Bellini.«
    »Noch ein Wochenende hier halte ich nicht aus.«
    »Fast hätte ich es vergessen«, rief Akonnor und holte die Bierdosen aus seinen beiden Jacketttaschen. »Und zum Schlafen.« Damit schüttelte er Aldo ein paar eingeschmuggelte Pillen in die Hand.
    »Die Nächte machen mich wahnsinnig«, murmelte Aldo und es wirkte irre, wie entzückt er die Pillen in der Handkuhle begutachtete. Ich berührte ihn besänftigend an der Schulter und stand auf. Er kam mühsam hoch, kickte aber plötzlich die Dosen durch die Zelle und schrie: »Sollen sich doch die Kakerlaken zu Tode saufen, diese verfickten Biester.« Aus der eingerissenen Lasche einer Dose zischte eklig gelblicher Schaum über den Boden. Sogleich kam der Sergeant durch den Korridor gehetzt. Aber Akonnor meisterte die Situation mit einem Scherzwort; jedenfalls sagte er im einheimischen Idiom etwas, das den Sergeant zum Lachen brachte. Sein Gebiss war wirklich makellos.
    Ich umarmte Aldo, wobei mir seine Handschellen unangenehm in die Leiste drückten. Auch stank er fürchterlich. »Dass du hier bist, Henry …«, stammelte er. »Nachts überkommt mich die Panik, dass ich Fiona und Fabio nie mehr …«
    Ich musste an andere Kinder denken. Ja, ich empfand Mitleid mit ihm. Und doch hätte ich ihn am liebsten geohrfeigt. Es tat mir weh, ihn in dieser Verzweiflung zurückzulassen, und doch empfand ich Abscheu über seine verbrecherischen Handlungen. Hundert widersprüchliche Gedanken schossen mir durch den Kopf: Alles schien aus Widersprüchen zu bestehen. Nichts war mehr eindeutig. Kein Mensch war eindeutig. Menschsein war gar nicht definiert. Gut und Böse waren Gegensätze und doch miteinander verwandt, bedingten sich gar gegenseitig … Mir schwindelte, als ich mich von Aldo verabschiedete. Mit einer Floskel, die mir so gar nicht geläufig ist: »Gott sei mit dir, Aldo!«
    An der Stirnwand des kleinen Saals war die orange-gelb-grüne Flagge so wirkungsträchtig gespannt, dass der ghanaische Stern exakt über dem Haupt des Richters schwebte. Unter diesem Stern also wird hier die Wahrheitsfindung stehen, dachte ich.
    Nkrumah hatte zwar die Briten aus ihrer Kronkolonie vertrieben, die englischen Rituale der Gerichtsbarkeit aber beibehalten. Der Richter, gewandet in eine schwarze Robe, trug eine voluminöse weiße Perücke, die wie ein Schönwetterwölkchen jeder Bewegung seines Kopfes folgte. Dieser war in ständigem Einsatz, dirigierte der Richter doch die Verhandlung mit hin und her pendelndem Oberkörper, ermunterndem Zunicken oder warnendem Kopfschütteln. Gegenüber dieser Beweglichkeit wirkten die drei beschlagnahmten Voodoo-Masken, die am Pult des Vorsitzenden lehnten, wie eingeschüchtert. Dabei ahnte ich, dass sie im Grunde Aldos gute Geister waren. Nur Voodoo-Gerechtigkeit konnte ihn retten – der Richter gab sich Mühe. Die Anklage der schweren Körperverletzung fegte er vom Tisch, indem er Schreiben zweier Zeugen verlas, die nicht erschienen waren.
    Dem einen Brief lag das famose neu datierte Fax bei, das belegte, dass Mr Bellini von Beginn an auf Schutzkleidung bestanden hatte. Der andere Brief stammte von Aldos Ghana-Bevollmächtigtem. Seine Notiz, Mr A. B. habe die Beschaffung der Schutzkleidung abgelehnt, beziehe sich natürlich nicht auf Aldo Bellini, sondern auf den Vermittler des Auftrags, einen Agenten namens Boateng. Dass dieser wirklich so heiße, sei allerdings nicht ganz sicher, da er abgetaucht sei, was ja nur bestätige, wie unseriös dieser Mann sei. Der Richter gab sich empört und ordnete an, den Agenten zur Fahndung auszuschreiben. Voodoo!, dachte ich und das dachte vielleicht auch der Richter, denn er beugte sich über den Tisch und betrachtete die Masken. Die waren fahl und starr, ähnlich wie Aldo, der bleich auf seinem Stuhl saß und meinen Blicken auswich. Dafür begegnete ich unvermittelt dem durchdringenden Blick des Richters. Sogleich war mir klar, dass er mich prüfte, nein,

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