Der Drache am Himmel
Verrückte ein Gespräch, das es so nicht geben konnte. Als einziger Halt blieb mir im Hof das Fahrrad ohne Sattel. Der Richter war aufgestanden. Dabei war seine Robe an einem Knie haften geblieben und gab den Blick auf eine zerschlissene Hose frei. Mit hängenden Armen stand er da, die Maske zu seinen Füßen an das Fenster gelehnt. Er räusperte sich. Aber als ich meinen Blick erwartungsvoll zu seinem Gesicht hob, blinzelte er bloß, öffnete den Mund und sagte dann doch nichts. Ich wartete. Er strahlte Würde aus. Aber diese Hose – ich wollte nicht ungehörig sein und konnte doch nicht anders, als mich spontan zu bücken, um ihm sein Gewand zurechtzuzupfen.
»Danke!«, sagte er.
»Entschuldigung!«, sagte ich.
»Angenommen«, sagte er.
»Was verlangen Sie?«
»Medizinische Behandlung«, sagte er.
»Ich werde dafür aufkommen.«
»Ist den Kindern geholfen, ist mir geholfen«, sagte er.
»Vielleicht wird die Behandlung in Ghana nicht möglich sein.«
»Ich werde die Kinder überallhin begleiten. Das bin ich mir schuldig.« Er lachte ganz plötzlich und klatschte theatralisch in die Hände: »Kommen Sie. Unser Pakt gilt. Zwei Masken sind ja noch drin. Eine für Sie, eine für mich.« Wieder lachte er und schnappte sich seine Perücke.
Bevor ich ihm in den Saal folgte, warf ich einen letzten Blick auf das Fahrrad. Natürlich hatte es immer noch keinen Sattel. Und, den schwarz gewandeten Rücken des Richters vor Augen, verstand ich, dass ich nie wissen würde, wer er war.
Der Richter fällte sein Urteil. Das Gespräch unter vier Augen mit – er wies auf mich, ohne meinen Namen zu nennen – habe ihn überzeugt, dass Mr Bellini mit seiner Sammlung keine kommerziellen Absichten verfolge. Das zumindest sei strafmildernd zu werten. Im Übrigen hätten die Masken das Land ja nicht verlassen. Er zitierte Paragraphen, gab die endgültige Beschlagnahmung der »bedeutenden Kunstwerke« zuhanden des ghanaischen Staates und die Höhe des Bußgeldes bekannt. Sie entsprach der ausgehandelten Summe. Er sprach im Stehen, stehend hörten wir zu. Dann entließ er uns mit der Handbewegung eines Herrschers, der seinen Lakaien befiehlt wegzutreten, und verschwand.
Im Vergleich zu Aldo, Akonnor und dem Ankläger war ich leidlich gefasst. Wunderte mich höchstens, dass der Richter das, was er Pakt genannt hatte, nicht in schriftlicher Form festhielt.
Aldo umklammerte mich mit der Erschütterung eines Kindes, das eben einem bissigen Hund entronnen war; aber das nahm ich erst wahr, als ihn Akonnor wegdrängte, um mir ausgiebig die Hand zu schütteln. Ich glaube, er murmelte etwas von einem Teufelskerl, der ich sei.
Meine afrikanische Mission war fast vorbei.
Es wurde Mitternacht, bis Aldo und ich endlich mit einem Whisky an der Hotelbar zur Ruhe kamen. Ich hatte ihn mir verdient, Aldo brauchte ihn, weil er von seinen Tagen in der Zelle berichtete. Ich hörte ihm zu. Allerdings kam mir einige Male der Richter in den Sinn – was untertrieben ist: ununterbrochen dachte ich an ihn, während sich Aldo die Rückstände seiner Ängste von der Seele redete und mit Wild Turkey Rare Breed nachhalf. Allein zwei Doppelte setzte er ein, um die Erinnerung wegzuspülen an das Knirschen einer Kakerlake unter seiner Fußsohle. »Grauslich, wie ein hämisches Kichern.«
Und nachdem er mir ausführlich die schleimige Konsistenz von Okraschoten inklusive Maden beschrieben hatte, gurgelte er sogar mit seinem Whisky. »Mein Gaumen ist fürs Leben versaut. Salute , mein Retter!« Je betrunkener er wurde, desto häufiger prostete er mir zu. Auch ich hatte mittlerweile einen Rausch – wie in der verwirrenden Viertelstunde unter dem Ventilator? War mein Gespräch mit dem Richter nur ein Hirngespinst, eine Sinnestäuschung? Doch auch das Bild des Fahrrads tauchte vor meinem inneren Auge auf. Ein Fahrrad als Halluzination? Wie schäbig das wäre, dachte ich und musste plötzlich lachen. Aldo nahm das zum Anlass, ein weiteres Mal mit mir anzustoßen: » Salute , mein Freund!«
Nach einer etwas misslungenen, weil steifen Umarmung in der Lobby suchten wir getrennt unsere Zimmer auf, er im zweiten, ich im obersten Stockwerk.
Der Umschlag lag auf meinem Bett. Er war vom Richter. Eine gefaltete Karte, vorn mit handschriftlichem Gruß, kam zum Vorschein: Ich glaube an Sie und grüße Sie respektvoll. Akwasi Danso. Darunter seine Adresse und zwei Telefonnummern. Ich schob das Moskitonetz auseinander, setzte mich aufs Bett, klappte die Karte auf und
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