Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
Handflächen von dem polierten Holz ab, dann aber packte er fester zu und fühlte nach kurzer Zeit, wie im Schloss etwas einrastete. Gleich darauf hörte er den Riegel zurückgleiten. Morgenes nickte, und Simon stieß mit der Schulter die Tür auf.
    Die schwelenden Binsen in der Wandhalterung verbreiteten nur schwaches Licht. Als Simon und der Doktor eintraten, sahen sie, wie die angekettete Gestalt im Hintergrund der Zelle aufblickte und wieihre Augen sich langsam weiteten, als erkenne sie die beiden wieder. Der Mund arbeitete, aber nur ein rauher Atemzug kam heraus. Der Gestank nach nassem, beschmutztem Stroh war überwältigend.
    »Ach … ach … mein armer Prinz …«, brachte Morgenes hervor.
    Während der Doktor eilig Josuas Handschellen untersuchte, konnte Simon nur zusehen und stand dem reißenden Strom der Ereignisse so hilflos gegenüber, als träume er. Der Prinz war qualvoll dünn und so bärtig wie ein wandernder Prophet des Unheils; die Hautpartien, die trotz des elenden Sacks, in dem er steckte, zu erkennen waren, wurden von roten Schwären bedeckt.
    Morgenes flüsterte etwas in Josua Ohnehands Ohr. Er hatte seinen Beutel wieder hervorgeholt und hielt in der Hand einen flachen Tiegel von der Sorte, in der Damen ihre Lippenschminke aufbewahren. Energisch rieb der kleine Doktor etwas von dem Inhalt erst auf seine eine, dann auf die andere Handfläche und sah sich noch einmal genau Josuas Fesseln an. Beide Arme waren an einen massiven, in der Mauer befestigten Eisenring gekettet; der eine mit einer Handschelle, der handlose mit einer Art Manschette um den dünnen Oberarm des Prinzen.
    Als Morgenes mit dem Einschmieren seiner Hände fertig war, reichte er Simon Tiegel und Beutel. »Jetzt sei ein braver Junge«, sagte er, »und halt die Hand vor die Augen. Ich habe einen in Seide gebundenen Band von Plesinnen Myrmenis – den einzigen nördlich von Perdrum – für diesen Schlamm eingetauscht. Ich hoffe nur – Simon, bitte halt dir die Augen zu …«
    Der Junge hob die Hände und sah noch, wie Morgenes nach dem Ring griff, der die Kette des Prinzen im Stein festhielt. Gleich darauf blitzte ein rosa Lichtstrahl durch Simons verschränkte Finger, gefolgt von einem Knall, als schlüge ein Hammer auf Schiefer. Als er wieder hinsah, lag Prinz Josua inmitten seiner Ketten auf dem Boden; Morgenes kniete mit qualmenden Handflächen daneben. Der Mauerring war geschwärzt und verdreht wie ein verbrannter Weizenfladen.
    »Puh!« Der Doktor schnappte nach Luft. »Ich hoffe nur … ich hoffe … dass ich das nie wieder tun muss. Kannst du den Prinzen aufheben, Simon? Ich bin sehr schwach.«
    Josua rollte steif zur Seite und sah sich um. »Ich glaube … ich … kann … gehen. Pryrates … hat mir etwas … gegeben.«
    »Unfug.« Morgenes holte tief Atem und kam schwankend auf die Füße. »Simon ist ein kräftiger Bursche – los, komm, Junge, halt keine Maulaffen feil! Heb ihn auf!«
    Nach einigem Hin und Her gelang es Simon, die herunterhängenden Stücke von Josuas Ketten, die noch immer an Handgelenk und Arm befestigt waren, um den Körper des Prinzen zu schlingen. Dann nahm er Josua mit Morgenes’ Hilfe auf den Rücken wie ein Kind, das man huckepack trägt. Er stand auf und holte tief Luft. Zuerst fürchtete er, er würde es nicht schaffen, aber dann schob er sich den Prinzen mit einem ungeschickten Hüftschwung höher auf den Rücken und stellte fest, dass es selbst mit dem zusätzlichen Gewicht der Ketten nicht unmöglich war.
    »Wisch dir das alberne Grinsen vom Gesicht, Simon«, ermahnte ihn der Doktor. »Wir müssen ihn noch die Leiter hinaufbekommen.«
    Irgendwie gelang es ihnen – Simon, der vor lauter Anstrengung ächzte und beinahe geweint hätte, Josua, der sich mit seinen schwachen Kräften an den Leitersprossen hochzog, und Morgenes, der von hinten schob und ihnen aufmunternde Worte zuflüsterte. Es war ein langer, alptraumhafter Anstieg, aber endlich erreichten sie den Hauptlagerraum. Morgenes huschte voraus, während Simon sich zum Ausruhen an einen Ballen lehnte, den Prinzen immer noch auf dem Rücken.
    »Irgendwo, irgendwo …«, murmelte Morgenes und drängte sich durch die eng gestapelten Vorräte. Als er die Südwand des Raumes gefunden hatte, leuchtete er sie mit seinem Kristall ab und begann ernsthaft nach etwas zu suchen.
    »Was …?«, wollte Simon fragen, aber der Doktor gebot ihm mit einer Geste zu schweigen. Während Morgenes hinter Fassbergen auftauchte und wieder verschwand,

Weitere Kostenlose Bücher