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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Gewand war ihm über die knochigen Schienbeine hinaufgerutscht.
    »… und ich weiß, dass ich keine magischen Türen anfassen soll, Doktor, ich weiß es, aber ich habe es eben getan, und es war Josua! Es tut mir leid, ich bringe alles durcheinander, doch ich weiß ganz genau, dass ich ihn gesehen habe! Er hatte einen Bart, glaube ich, und sah fürchterlich aus … aber er war es!«
    Morgenes nippte an seinem Wein und betupfte sich mit dem langen Ärmel den Kinnbart. »Ich glaube dir, Junge«, antwortete er. »Das Gegenteil wäre mir lieber, aber auf eine ganz üble Art ergibt das alles einen Sinn. Es bestätigt eine seltsame Nachricht, die ich erhalten habe.«
    »Aber was machen wir jetzt?« Simon brüllte beinahe. »Er stirbt! Hat ihm Elias das angetan? Weiß der König davon?«
    »Das kann ich wirklich nicht sagen – jedenfalls steht fest, dass Pryrates es weiß.« Der Doktor stellte den Weinbecher hin und erhob sich. Hinter seinem Kopf rötete der letzte Schein der Abendsonne die schmalen Fenster. »Aber was wir jetzt machen, kann ich dir sagen: Für dich ist es Zeit, zum Abendessen zu gehen.«
    »Abendessen?« Simon verschluckte sich und kleckerte Würzwein auf sein Wams. »Wo Prinz Josua …«
    »Jawohl, mein Junge, genau das. Im Augenblick können wir gar nichts unternehmen, und ich muss nachdenken. Wenn du das Abendessen versäumst, wird es lediglich einen Aufstand geben – wenn auch nur einen ganz kleinen –, und das würde genau zu dem beitragen, was wir nicht wollen, nämlich die Aufmerksamkeit auf uns lenken. Nein, geh jetzt und iss zu Abend … und halt den Mund zwischen den einzelnen Bissen, ja?«
    Die Mahlzeit schien so langsam vorüberzugehen wie die Schneeschmelze im Frühjahr. Eingekeilt zwischen geräuschvoll kauenden Küchenjungen, mit einem Herzen, das doppelt so schnell schlug wie sonst, widerstand Simon dem wilden Drang, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen und Becher und Geschirr auf den mit Binsen bestreuten Fußboden zu jagen. Die Belanglosigkeit der Unterhaltung reizte ihn unerträglich, und der Kartoffelauflauf mit Fleisch, den Judith extra zum Belthainnsabend gebacken hatte, lag ihm geschmacklos und unzerkaubar wie Holz im Mund.
    Rachel sah von ihrem Platz am Kopfende des Tisches missbilligend zu, wie er unruhig hin- und herrutschte. Als Simon so lange still gesessen hatte, wie es ihm überhaupt möglich war, und dann aufsprang, um sich zu entschuldigen, folgte sie ihm zur Tür.
    »Tut mir leid, Rachel, aber ich habe es furchtbar eilig!«, sagte er und hoffte so, die Lektion, die sie ihm offensichtlich gleich erteilen wollte, abzuwenden. »Doktor Morgenes hat etwas sehr Wichtiges, bei dem ich ihm helfen soll. Bitte!«
    Einen Augenblick sah der Drache aus, als wolle sie ihn mit geübt grässlichem Griff am Ohr packen und gewaltsam an den Tisch zurückbefördern, aber irgendetwas in seinem Gesicht oder seinem Tonfall berührte sie; fast hätte sie gelächelt.
    »Na gut, ausnahmsweise – aber du bedankst dich zuvor bei Judith für das schöne Stück Auflauf, bevor du gehst. Sie hat den ganzen Nachmittag daran gearbeitet.«
    Simon rannte zu Judith hinüber, die sich an ihrem eigenen Tisch aufgebaut hatte wie ein gewaltiges Zelt. Als er ihre Mühen pries, erröteten ihre runden Wangen lieblich. Während er sich mit eiligen Schritten zur Tür aufmachte, beugte Rachel sich vor und schnappte ihn am Ärmel. Er blieb stehen und drehte sich um, den Mund bereits geöffnet, um sich darüber zu beklagen, aber Rachel erklärte nur: »Nun beruhige dich erst einmal und pass auf dich auf, du Mondkalbjunge. Nichts ist so wichtig, als dass es wert wäre, sich dafür umzubringen.« Sie gab ihm einen Klaps auf den Arm und ließ ihn dann gehen; noch während sie ihm nachsah, war er zur Tür hinaus und fort.
    Bis Simon am Brunnen ankam, hatte er Jacke und Mantel angezogen. Morgenes war noch nicht da, und so marschierte der Junge ungeduldig im tiefen Schatten des Speisesaalgebäudes auf und ab, bis eine leise Stimme an seiner Seite ihn überrascht zusammenfahren ließ.
    »Tut mir leid, dass du warten musstest, Junge. Inch kam vorbei, und es war verteufelt schwer, ihn davon zu überzeugen, dass ich ihn nun doch nicht brauchte.« Der Doktor zog die Kapuze herunter und verbarg sein Gesicht.
    »Woher seid Ihr denn so geräuschlos aufgetaucht?«, fragte Simon und imitierte das Flüstern des Doktors.
    »Ich bin immer noch einigermaßen beweglich«, erwiderte der Doktor gekränkt. »Zwar bin ich alt, aber noch

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