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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Kette ab, Junge.« Ein gespenstisches Lächeln flackerte über sein Gesicht. »Die Handschelle lass mir zur Erinnerung an meinen Bruder.« Er streckte den verdorrten Stumpf des rechten Handgelenks aus. »Wir führen Buch über unsere gegenseitige Schuld, weißt du.«
    Simon überlief es plötzlich kalt, und er zitterte, als er Josuas linken Unterarm gegen die Steinplatten drückte. Mit einem einzigen Hieb durchtrennte er die Kette und ließ die Manschette aus geschwärztem Eisen an ihrem Platz.
    Morgenes erschien mit einem Bündel schwarzer Kleider. »Kommt, Josua. Wir müssen uns beeilen. Es ist schon fast eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit, und wer weiß, wann sie anfangen werden, nach Euch zu suchen. Ich habe meinen Dietrich abgebrochen im Schloss stecken lassen, aber das wird sie nicht lange daran hindern, Euer Verschwinden zu entdecken.«
    »Was wollen wir tun?«, fragte der Prinz, der unsicher auf den Füßen stand und sich von Simon in die muffig riechenden Bauernkleider helfen ließ. »Wem in der Burg können wir vertrauen?«
    »Im Augenblick niemandem – nicht so ohne Vorwarnung. Darum müsst Ihr sofort nach Naglimund aufbrechen. Nur dort seid Ihr in Sicherheit.«
    »Naglimund …« Josua machte einen verwirrten Eindruck. »In all diesen grauenvollen Monaten habe ich so oft von meiner Heimat geträumt … doch nein! Ich kann nicht fort; ich muss dem Volk die Falschheit meines Bruders zeigen. Ich werde starke Arme finden, die mich unterstützen.«
    »Nicht hier … und nicht jetzt.« Morgenes sprach mit fester Stimme, die hellen Augen gebieterisch. »Ihr würdet wieder im Verlies landen, und dieses Mal würde man Euch sehr schnell und in aller Heimlichkeit enthaupten. Begreift Ihr nicht? Ihr müsst an einenbefestigten Ort gehen, wo Ihr vor Verrat sicher seid, bevor Ihr irgendwelche Ansprüche durchsetzen könnt. Wie viele Könige haben schon ihre Verwandten gefangen gesetzt und getötet – und die meisten blieben ungestraft. Es braucht mehr als Familienstreitigkeiten, um die Bevölkerung zum Aufstand zu ermutigen.«
    »Nun gut«, antwortete Josua unwillig, »selbst wenn Ihr recht hättet, wie sollte ich entkommen?« Ein Hustenanfall schüttelte ihn. »Die Burgtore sind … sind ohne Zweifel für die Nacht geschlossen. Soll ich als fahrender Sänger verkleidet zum Inneren Tor schlendern und versuchen, mir den Durchlass zu ersingen?«
    Morgenes lächelte. Simon war beeindruckt vom grimmigen Mut des Prinzen, der noch vor einer Stunde ohne Hoffnung auf Rettung in einer feuchten Zelle in Ketten geschlagen war.
    »Wie der Zufall es will, habt Ihr mich mit dieser Frage nicht unvorbereitet getroffen«, erklärte der Doktor. »Bitte schaut her.«
    Er ging zur Hinterwand des langen Zimmers, in die Ecke, in der Simon einst an der rauhen Steinmauer geweint hatte. Dort zeigte er auf die Sternkarte, deren miteinander verbundene Konstellationen einen großen, vierfach geflügelten Vogel formten. Mit einer kleinen Verbeugung zog Morgenes die Karte beiseite. Dahinter lag eine große, viereckige, in den Fels gehauene Öffnung mit einer Holztür.
    »Wie wir bereits demonstriert haben, ist Pryrates nicht der Einzige hier, der um verborgene Türen und Geheimgänge weiß.« Der Doktor lachte vergnügt. »Vater Rotmantel ist neu am Ort und muss noch viel über diese Burg lernen, die länger, als ihr beide es euch vorstellen könnt, mein Zuhause gewesen ist.«
    Simon war so aufgeregt, dass er kaum stillstehen konnte, während Josua ein besorgtes Gesicht machte. »Wohin führt das, Morgenes?«, fragte er. »Es wird mir wenig nützen, wenn ich Elias’ Verlies und Folterbank entkomme, nur um mich dann im Burggraben des Hochhorstes wiederzufinden.«
    »Habt keine Sorge. Diese Burg ist auf einem Kaninchenbau von Höhlen und Tunneln erbaut, ganz zu schweigen von den Ruinen der noch älteren Burg unter uns. Das ganze Labyrinth ist so riesig, dass nicht einmal ich es auch nur zur Hälfte kenne – aber ich weiß genug davon, um Euch einen sicheren Ausgang zu zeigen. Schaut her!«
    Morgenes führte den auf Simons Arm gestützten Prinzen an den großen, das ganze Zimmer einnehmenden Tisch. Dort breitete er ein zusammengerolltes Pergament aus, dessen Ränder vom Alter grau und ausgefranst waren.
    »Ihr seht«, begann Morgenes, »dass ich nicht müßig war, während mein junger Freund sein Abendessen einnahm. Dies ist ein Plan der Katakomben – zwangsläufig nur eines Teilbereiches, aber Eure Route ist darauf gekennzeichnet. Wenn Ihr

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