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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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kein Moribundus.«
    Simon wusste nicht, was ›Moribundus‹ bedeutete, verstand jedoch, was der Doktor sagen wollte. »Entschuldigung«, wisperte er.
    Schweigend stiegen die beiden die Treppe des Speisesaals in den ersten Lagerraum hinunter. Dort zog Morgenes eine Kristallkugel von der Größe eines grünen Apfels hervor. Als er daran rieb, flackerte in der Mitte ein kleiner Funke auf, der ganz langsam heller wurde, bis er die Fässer und Ballen ringsum in weiches, honigfarbenes Licht tauchte. Morgenes verhüllte die untere Hälfte der Kugel mit dem Ärmel und hielt sie vor sich, während Simon under sich vorsichtig einen Weg durch die aufgestapelten Vorräte suchten.
    Die Falltür war geschlossen; Simon konnte sich nicht erinnern, ob er sie zugeworfen hatte, als er wie ein Wahnsinniger hinausgestürzt war. Sie stiegen vorsichtig, Simon voran, die Leiter hinunter; Morgenes, über ihm, hielt die glänzende Kugel nach allen Seiten. Simon zeigte ihm die kleine Kammer, in der Pryrates ihn um ein Haar entdeckt hätte; dann kletterten sie weiter bis ganz nach unten.
    Der Raum dort war so unbewohnt wie zuvor, aber die Tür zum steinernen Gang wieder geschlossen. Simon war fast sicher, dass er sie nicht angerührt hatte, und erklärte das auch Morgenes. Aber der kleine Mann machte nur eine Handbewegung und trat an die Wand, wo er mit Hilfe von Simons Hinweisen die Stelle fand, an der sich der Spalt gezeigt hatte. Der Doktor rieb mit einer kreisenden Bewegung seiner Hand über die Mauer und murmelte dabei leise vor sich hin, aber keine Ritze wollte sich sehen lassen.
    Nachdem Morgenes eine Weile vor der Mauer gehockt und mit sich selbst gesprochen hatte, bekam Simon es satt, sein Gewicht von einem Fuß auf den andern zu verlagern, und kauerte sich neben ihn.
    »Könnt Ihr nicht einfach irgendeinen Zauber sprechen, damit sie aufgeht?«
    »Nein!«, zischte Morgenes. »Kein vernünftiger Mensch, ich wiederhole, keiner, benutzt die Kunst, wenn es nicht unbedingt nötig ist – schon gar nicht, wenn er es mit einem anderen Adepten zu tun hat, wie wir hier mit unserem Pater Pryrates. Ebenso gut könnten wir meinen Namen auf die Wand malen.«
    Während Simon sich auf seine Fersen zurücklehnte und eine finstere Miene machte, legte der Doktor die linke Handfläche auf die Mitte der Stelle, an der die Tür gewesen war. Nachdem er die Oberfläche vorsichtig abgeklopft hatte, versetzte er ihr mit der rechten Hand einen kräftigen Stoß – die Tür sprang auf, und Fackellicht ergoss sich in den Raum. Der Doktor spähte hinein. Dann ließ er den Lampenkristall in den Saum seines umfangreichen Ärmels gleiten und holte einen zusammengenähten Lederbeutel hervor.
    »Ach, Simon, Junge«, kicherte er leise, »was für ein Dieb doch ausmir geworden wäre! Das war keine magische Tür – sie war nur mit Hilfe der Kunst versteckt. Jetzt komm.« Sie traten in den feuchten Steingang.
    Ein verzögertes Echo folgte ihren Schritten, als sie den feuchten Gang hinunter zu der verschlossenen Tür glitten und stapften. Morgenes näherte sich dem Guckloch und warf einen Blick ins Innere.
    »Ich glaube, du hast recht, Junge«, zischte er. »Bei Nuannis Schienbein! Ich wünschte, es wäre anders.« Er wandte sich dem Schloss zu und untersuchte es genau. »Lauf ans Ende des Ganges und spitz die Ohren, ja?«
    Während Simon Wache stand, wühlte Morgenes in seinem Lederbeutel und zog endlich eine lange, nadeldünne Klinge hervor, die in einem hölzernen Griff steckte. Damit winkte er Simon vergnügt zu.
    »Naraxi-Schweinestecher. Wusste, dass ich den mal gut gebrauchen könnte!«
    Er versuchte die Klinge am Schlüsselloch; sie glitt bequem in die Öffnung. Dann nahm er sie wieder heraus und schüttelte aus seinem Beutel einen winzigen Krug, den er mit den Zähnen entkorkte; Simon sah gebannt zu. Morgenes tröpfelte eine dunkle, klebrige Substanz auf die Nadelklinge, um die Spitze dann sofort wieder in das Schlüsselloch zu stecken. Als sie in das Schloss eindrang, hinterließ sie glänzende Spuren. Morgenes wackelte kurz mit dem Schweinestecher hin und her, trat dann einen Schritt zurück und fing an, mit den Fingern zu zählen. Als er beide Hände jeweils dreimal bemüht hatte, packte er den schlanken Griff und drehte. Er verzog das Gesicht und ließ los.
    »Komm her, Simon. Wir brauchen deine starken Arme.«
    Auf Anweisung des Doktors ergriff Simon das seltsame Werkzeug am unteren Ende und begann zu drehen. Zunächst glitten seine verschwitzten

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