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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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geschlossen – ein Posten, der auf seiner Wache gestorben war.
    »Gut«, meinte Binabik. »Das deutet darauf hin, dass wir uns hineinwagen können, ohne dass uns der ganze Bau über dem Kopf einstürzt.« Er nahm seinen Stab und steckte ihn in einen Spalt zwischen Tür und Rahmen. Dann benutzte er ihn als Brecheisen, bis mit etwas Nachhilfe von Simon die Tür in einem schwarzen Staubregen aufsprang.
    Nachdem sie sich so abgemüht hatten, um Einlass zu erlangen, kam es ihnen in der Tat seltsam vor, als sie eintraten und sahen, dass das Dach verschwunden war und die Kapelle so offen stand wie eine Truhe ohne Deckel. Simon schaute auf und sah über sich eingerahmt den Himmel, der sich mit dem hereinbrechenden Abend unten rot und oben grau färbte. In der Wand waren die Fenster in ihren Rahmen geschwärzt, und das Bleigitterwerk hatte sich herausgedreht, sodass es sein rußiges Glas verschüttete, als habe eine Riesenhand das Dach abgerissen, durch die Balken nach unten gegriffen und dann mit ungeheuren Fingern jedes Fenster einzeln durchstoßen.
    Ein schneller Überblick ergab nichts Nützliches. Die Kapelle war, vielleicht wegen ihrer zahlreichen Vorhänge und Wandteppiche, bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Zerfallene Aschenskulpturen von Bänken, Treppen und Altar standen noch an Ort und Stelle, unddie steinernen Altarstufen trugen den Geist eines Blumenkranzes, eine vollkommene, unfassbar zarte Krone aus papierdünnen Blättern und durchscheinenden, grauen Aschenblumen.
    Als Nächstes überquerten Simon und Binabik den Klosteranger hinüber nach dem Wohnhaus, einem langen, niedrigen Saal mit winzigen Zellen. Hier hielt sich der Schaden in Grenzen – das eine Ende hatte Feuer gefangen, war aber aus irgendeinem Grunde ausgebrannt, bevor sich die Flammen weiter ausbreiten konnten.
    »Blick dich vor allem nach Stiefeln um«, sagte Binabik. »Zwar trugen diese Klostermänner meist Sandalen, aber vielleicht mussten einige von ihnen gelegentlich bei kaltem Wetter reiten oder reisen. Am besten sind solche, die passen, aber im Notfall entscheide dich lieber für zu große als für zu kleine.«
    Sie begannen an entgegengesetzten Enden der langen Halle. Die Türen waren sämtlich unverschlossen, aber die kleinen Räume erschreckend kahl, in vielen als einziger Schmuck ein Baum an der Wand. Ein Mönch hatte einen blühenden Ebereschenzweig über seinem harten Lager befestigt; seine Fröhlichkeit in solch karger Umgebung heiterte Simon auf, bis ihm das Schicksal des Bewohners dieser Zelle wieder einfiel.
    Im sechsten oder siebten Raum erschrak Simon, denn als er die Zellentür aufzog, ertönte ein zischendes Geräusch, und ein Schatten sauste an seinem Knöchel vorbei. Zuerst dachte er, jemand hätte einen Pfeil auf ihn abgeschossen, aber ein Blick in die winzige leere Zelle überzeugte ihn davon, dass dies kaum möglich war. Gleich darauf begriff er, was es gewesen war, und verzog den Mund zu einem halben Lächeln. Einer der Mönche hatte, zweifellos ganz und gar in Widerspruch zu den Klosterregeln, ein Haustier gehalten – eine Katze, so wie die kleine Ratzenkatze, mit der Simon sich auf dem Hochhorst angefreundet hatte. Nach zwei Tagen, die sie, eingesperrt in der Zelle, auf ihren Herrn gewartet hatte, der nie wiederkommen würde, war sie hungrig, erbost und verängstigt gewesen. Simon ging die Halle hinunter, um sie zu suchen, aber das Tier war verschwunden.
    Binabik hörte ihn herumpoltern. »Ist alles in Ordnung, Simon?«, rief er unsichtbar aus einer der anderen Zellen.
    »Ja!«, schrie Simon zurück. Das Licht in den winzigen Fenstern über seinem Kopf war bereits ganz grau. Er überlegte, ob er zur Tür gehen und Binabik unterwegs mitnehmen oder zurücklaufen und weitersuchen sollte. Wenigstens die Zelle des Mönches mit der eingeschmuggelten Katze wollte er noch untersuchen. Einige Augenblicke später wurde Simon an die Schwierigkeiten erinnert, die entstehen, wenn man Tiere zu lange einsperrt. Er musste sich die Nase zuhalten, während er sich hastig in der Zelle umschaute. Da sah er ein Buch. Es war klein, aber hübsch in Leder gebunden. Auf Zehenspitzen bewegte er sich über den verdächtigen Fußboden, nahm es von einem Haken über dem niedrigen Bett und stelzte wieder hinaus.
    Gerade hatte er sich in die nächste Zelle gesetzt, um seine Beute anzuschauen, als Binabik in der Tür erschien.
    »Ich hatte wenig Glück. Und du?«, fragte der Troll.
    »Keine Stiefel.«
    »Nun, es wird schnell Abend. Ich glaube,

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