Der Drachenbeinthron
Binabik zeigte mit der Hand auf die öde Ebene am Fuß der Berge, »der Frühling war gekommen, hatte sich aber noch nicht durchgesetzt. Es war, oh, ungefähr zur Zeit des Allernarrentages oder einen Tag davor.«
Am Vorabend des Allernarrentages … Simon versuchte zurückzudenken, sich zu erinnern. Die Nacht, in der dieser furchtbare Lärm die ganze Burg aufschreckte. Die Nacht bevor … der Regen kam …
»Qantaqa war auf der Jagd, und der alte Widder Einauge – groß, fett und geduldig genug, Ookequk zu tragen! – schlief am Feuer. Wir waren allein, nur wir und der Himmel. Mein Meister aß von der Traumborke, die aus dem Marschland von Wran im Süden zu ihm gekommen war. Er verfiel in eine Art Schlummer. Er hatte mir nicht gesagt, warum er das tat, aber ich konnte mir denken, dass er nach Antworten suchte, die er auf andere Weise nicht finden konnte. Die Boghanik hatten ihm Angst gemacht, weil ihr Verhalten ein falsches war.
Bald fing er an vor sich hin zu murmeln, wie er es gewöhnlich tat, wenn sein Herz auf der Straße der Träume wandelte. Vieles war unverständlich, aber ein paar Dinge, von denen er sprach, hat auch Bruder Dochais erwähnt; das ist der Grund, weshalb du mir vielleicht Erstaunen angemerkt hast.«
Simon musste ein saures Lächeln unterdrücken. Und er hatte geglaubt, es wäre seine eigene, von den fieberwirren Worten des Hernystiri angefachte Furcht, die so deutlich für alle zu sehen gewesen wäre!
»Auf einmal«, fuhr der Troll fort und bohrte immer nochverbissen mit seinem Stab im schlammigen Gras, »schien es mir, als hätte ihn etwas gepackt – wieder eine Ähnlichkeit mit Bruder Dochais. Aber mein Meister war stark, stärker im Herzen, glaube ich, als fast jeder andere, Mensch oder Troll, und er wehrte sich. Er kämpfte und kämpfte immer weiter, den ganzen Nachmittag lang und in den Abend hinein, während ich danebenstand und nicht helfen konnte, außer ihm die Stirn zu befeuchten.« Binabik riss eine Handvoll Gras aus, warf sie in die Luft und schlug mit dem Stock danach. »Dann, kurze Zeit nach der Mitte der Nacht, sagte er einige Worte zu mir – ganz ruhig, als säße er mit den anderen Ältesten in der Stammeshöhle beim Trinken – und starb.
Ich glaube, es war schlimmer für mich als der Tod meiner Eltern, denn sie waren plötzlich verschwunden – einfach in einer Schneelawine verschüttet, ohne eine Spur. Ich begrub Ookequk dort an einem Berghang. Keines der geziemenden Rituale wurde ordnungsgemäß vollzogen, und das ist eine Schande für mich. Einauge wollte nicht fort von seinem Herrn; soweit ich wissen kann, ist er vielleicht immer noch bei ihm. Ich hoffe es.«
Der Troll schwieg eine Weile und starrte verbissen auf das zerkratzte Leder an den Knien seiner Hose. Sein Schmerz war Simons eigenem Leid so ähnlich, dass dem Jungen keine Worte einfielen, die für jemand anderen als ihn selbst sinnvoll gewesen wären. Etwas später öffnete Binabik stumm seinen Rucksack und bot ihm eine Handvoll Nüsse an. Simon nahm sie und auch den Wasserschlauch.
»Dann«, fing Binabik wieder an, fast als habe er keine Pause gemacht, »geschah etwas Seltsames.« Simon kuschelte sich in seinen Mantel und schaute in das Gesicht des Trolls, der fortfuhr: »Zwei Tage hatte ich an der Grabstätte meines Meisters zugebracht. Es war eigentlich ein schöner Ort, der unter freiem Himmel lag, aber trotzdem tat mir das Herz weh, weil ich wusste, dass er hoch oben im Gebirge glücklicher gewesen wäre. Ich dachte nach, was ich nun anfangen sollte, zu Morgenes nach Erchester weiterreisen oder zu meinem Volk zurückkehren und verkünden, dass der Singende Mann Ookequk tot war.
Am Nachmittag des zweiten Tages entschied ich mich dafür, umzukehren. Ich wusste nicht, wie wichtig die Unterredung meinesMeisters mit Doktor Morgenes war – bedauerlicherweise weiß ich es immer noch nicht recht –, und ich hatte andere … Verantwortlichkeiten.
Als ich nach Qantaqa rief und den treuen Einauge ein letztes Mal zwischen den Hörnern kraulte, flatterte ein kleiner, grauer Vogel herab und landete auf Ookequks Grab. Ich erkannte ihn als einen der Botenvögel meines Meisters; er war sehr müde, weil er eine schwere Bürde trug, seine Botschaft und … und noch etwas anderes. Als ich zu ihm hinging, um ihn einzufangen, kam Qantaqa krachend durch das Unterholz gestürmt. Der Vogel, kaum erstaunlich, war erschreckt und flog auf. Ich erwischte ihn um Haaresbreite. Es war eine Knappheit, Simon, aber ich fing
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