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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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auf Simon, der, die Hände auf dem Rücken versteckt, vor ihr stand. Wie in aller Welt war es ihm gelungen, sich unbemerkt anzuschleichen? Und warum hatte er so ein idiotisches Grinsen im Gesicht? Rachel fühlte, wie die Stärke des Gerechten in ihren Körper zurückflutete. Sein Hemd, noch vor einer Stunde sauber, war starr vor Schmutz und an mehreren Stellen zerrissen, ebenso die Hosen.
    »Gesegnete Sankt Rhiap, steh mir bei!«, kreischte Rachel. »Was hast du angestellt, Dummkopf?« Rhiappa, eine Ädoniterin aus Nabban, war, von Seepiraten mehrfach geschändet, mit dem Namen des Einen Gottes auf den Lippen gestorben. Sie erfreute sich bei Dienstboten großer Beliebtheit.
    »Schau, was ich habe, Rachel!«, sagte Simon und zeigte ihr einen zerfledderten, schiefen Strohkegel: Ein Vogelnest, das schwachePieptöne von sich gab. »Ich habe es unter dem Hjeldinturm gefunden. Der Wind muss es heruntergeweht haben. Drei leben noch, und die will ich aufziehen!«
    »Bist du denn ganz und gar von Sinnen!« Rachel hob den Besen, und es sah ganz danach aus, als würde er sich in einen jener strafenden Blitze des Herrn verwandeln, die zweifellos Rhiaps Vergewaltiger vernichtet hatten. »Du wirst diese Kreaturen so wenig in meinem Haushalt aufziehen, wie ich vorhabe, nach Perdruin zu schwimmen! Schmutzige Biester, die überall herumflattern und den Leuten in die Haare gehen – und sieh dir deine Kleider an! Weißt du eigentlich, wie lange Sarrah brauchen wird, bis sie das alles wieder geflickt hat?«
    Simon schlug die Augen nieder. Natürlich hatte er das Nest nicht auf der Erde gefunden. Es war jenes, das er im Heckengarten entdeckt hatte, halb von seinem Platz auf der Festeiche heruntergerutscht. Er war hinaufgeklettert, um es zu retten, und hatte vor lauter Aufregung bei der Vorstellung von eigenen jungen Vögeln überhaupt nicht an die Arbeit gedacht, die er Sarrah damit machte, dem stillen Mädchen, das die Sachen der Dienstboten ausbesserte. Eine Woge von Schwermut und Enttäuschung spülte über ihn hinweg.
    »Aber Rachel, ich habe auch daran gedacht, die Binsen zu pflücken!« Vorsichtig hielt er das Nest im Gleichgewicht und zog unter dem Wams ein mageres, zerzaustes, verklumptes Grasbüschel hervor.
    Rachels Miene entspannte sich ein wenig, doch ihr Blick blieb grimmig. »Du denkst einfach nicht nach, Junge, du denkst nicht nach – du bist wie ein kleines Kind. Wenn etwas kaputtgeht oder zu spät getan wird, muss jemand die Verantwortung dafür übernehmen. So geht es nun einmal zu in der Welt. Ich weiß, dass du es nicht wirklich böse meinst, aber musst du bei-unserer-lieben-Frau so dumm sein?«
    Simon sah vorsichtig auf. Obwohl sein Gesicht noch das richtige Maß von Kummer und Zerknirschung zeigte, konnte Rachel mit ihrem Basiliskenblick erkennen, dass er das Schlimmste überstanden zu haben glaubte. Ihre Brauen zogen sich von neuem finster zusammen.
    »Es tut mir leid, Rachel, wirklich, es tut mir leid«, sagte er, als sie den Arm ausstreckte und mit dem Stiel des Besens mehrfach gegen seine Schultern stieß.
    »Komm mir nicht mit deinem ewigen ›Tut-mir-leid‹. Schaff diese Vögel fort, und setz sie wieder dahin, wo du sie hergenommen hast. Hier drinnen gibt es keine flatternden, fliegenden Biester.«
    »Ach, Rachel! Ich könnte sie doch in einen Käfig tun. Ich werde einen bauen!«
    »Nein, nein und nochmals nein. Nimm sie, und bring sie deinem nichtsnutzigen Doktor, wenn du willst, aber trag sie nicht hierher, um damit anständige Leute zu ärgern, die ihre Arbeit tun müssen.«
    Simon trottete davon, das Nest in den hohlen Händen. Irgendwo hatte er einen Fehler gemacht – Rachel hätte fast nachgegeben, aber sie war eine harte, alte Nuss. Der kleinste Irrtum im Umgang mit ihr bedeutete eine schnelle und schreckliche Niederlage.
    »Simon!«, rief sie ihm nach. Er wirbelte herum.
    »Ich kann sie behalten?«
    »Natürlich nicht! Sei kein Mondkalb.« Sie schaute ihn durchdringend an. Eine unbehaglich lange Weile verging; Simon trat von einem Fuß auf den anderen und wartete.
    »Du wirst künftig für den Doktor arbeiten, Junge«, sagte sie dann endlich. »Vielleicht kann er dir ein bisschen Verstand eintrichtern. Ich bin es leid.« Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. »Denk aber daran, dass du tust, was er dir sagt, und dich bei ihm – und bei dem bisschen Glück, das dir noch übrigbleibt – für diese einzige und letzte Chance bedankst. Verstanden?«
    »Ja, gewiss«, antwortete er glücklich.
    »So

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