Der Drachenbeinthron
Gesicht. Sie hatten die Suppenschüsseln beiseitegestellt und saßen einander auf dem nackten Boden gegenüber: Simon, der Troll und die Herrin der Hütte. Malachias, obschon sichtlich an dem Gespräch interessiert, war bei dem kleinen Mädchen auf seinem Lager sitzen geblieben.
»Ich sah, wie böse Dinge sich rührten«, erklärte Geloë, und ihre Augen blitzten. »Böses, das die Wurzeln unserer vertrauten Welt erschüttern wird.« Sie hatte ihre Kraft wiedergefunden und noch etwas anderes dazu: Sie war so feierlich und ernst wie ein König, der zu Gericht sitzt. »Fast wünschte ich, wir hätten den Traumpfad nicht beschritten – doch das ist ein eitler Wunsch und stammt aus einem Teil meines Ichs, der am liebsten seine Ruhe haben möchte. Ich sehe dunklere Tage kommen und fürchte mich, in solch unheilverkündende Ereignisse hineingezogen zu werden.«
»Was meint Ihr damit?«, fragte Simon. »Was war das alles? Habt Ihr auch den Berg gesehen?«
»Sturmspitze.« Binabiks Stimme klang seltsam flach. Geloë sah zu ihm hinüber, nickte und sprach dann weiter, zu Simon gewandt.
»Es ist wahr. Es war Sturmrspeik, den wir gesehen haben; sonennen sie ihn in Rimmersgard, wo er eine Legende ist, wenn man die Rimmersmänner danach fragt. Der Berg der Nornen.«
»Wir Qanuc«, ergänzte Binabik, »wissen, dass die Sturmspitze Wirklichkeit ist. Aber trotzdem – die Nornen haben sich seit der Zeit jenseits der Zeiten nicht um die Angelegenheiten von Osten Ard gekümmert. Warum jetzt? Es kam mir vor, als …«
»… als ob sie zum Krieg rüsteten«, beendete Geloë den Satz für ihn. »Wenn man dem Traum Glauben schenken kann, hast du recht. Aber natürlich gehört ein besser geschultes Auge als das meine dazu, festzustellen, ob wir die Wahrheit gesehen haben. Andererseits hast du gesagt, die Hunde, die euch verfolgten, trugen das Brandzeichen der Sturmspitze; das ist ein greifbarer Beweis aus der wachen Welt. Ich meine, wir können diesem Teil des Traumes trauen; wenigstens finde ich, wir sollten es.«
»Zum Krieg rüsten?« Simon war jetzt schon verwirrt. »Gegen wen? Und wer war die Frau hinter der silbernen Maske?«
Geloë sah sehr müde aus. »Die Maske? Keine Frau. Ein Geschöpf aus den Legenden, könnte man sagen, oder ein Wesen aus der Zeit jenseits der Zeiten, wie Binabik es ausgedrückt hat. Das war Utuk’ku, die Königin der Nornen.«
Simon fühlte, wie es ihn eisig überlief. Draußen sang der Wind ein kaltes und einsames Lied. »Aber was sind diese Nornen? Binabik glaubt, sie wären Sithi.«
»Die alte Weisheit sagt, dass sie einst zu den Sithi gehörten«, antwortete Geloë. »Aber sie sind ein verschollener Stamm oder Abtrünnige. Sie kamen nie mit dem Rest ihres Volkes nach Asu’a, sondern verschwanden im unerforschten Norden, den eisigen Gegenden hinter Rimmersgard und seinen Gebirgen. Sie wollten mit dem, was in Osten Ard vorging, nichts zu schaffen haben, obwohl das jetzt anders zu werden scheint.«
Simon sah einen Schatten über das mürrische, nüchterne Gesicht der Zauberfrau huschen.
Und diese Nornen helfen Elias, mich zu jagen? , dachte er und fühlte neue Panik in sich aufsteigen. Wie bin ich nur in diesen Alptraum geraten?
Und als hätte die Angst in seinem Kopf eine Tür geöffnet, fiel ihmetwas ein. Aus den Verstecken seines Herzens stiegen abschreckende Gestalten nach oben, und er rang nach Atem.
»Diese … diese blassen Leute … die Nornen. Ich habe sie schon einmal gesehen!«
»Was?« Geloë und der Troll riefen es wie aus einem Mund und beugten sich vor. Simon, von ihrer Heftigkeit überrascht, zuckte erschreckt zurück.
»Wann?«, schnappte Geloë.
»Es war … wenigstens glaube ich das, es kann auch ein Traum gewesen sein … in der Nacht, als ich vom Hochhorst fortlief. Ich war an der Begräbnisstätte, und ich dachte, ich hörte jemanden meinen Namen rufen – eine Frauenstimme. Ich hatte solche Angst, dass ich wegrannte, einfach fort, auf den Thisterborg zu.« Auf dem Strohsack bewegte sich etwas; Malachias wechselte unruhig die Stellung. Simon achtete nicht auf ihn und fuhr fort.
»Da war ein Feuer oben auf dem Berg, zwischen den Zornsteinen. Kennt Ihr sie?«
»Ja.« Geloës Antwort war knapp, aber Simon spürte ein Gewicht hinter den Worten, das er nicht verstand.
»Ja … ich fror und fürchtete mich, also kletterte ich hinauf. Es tut mir leid, aber ich war immer ganz sicher, dass es bloß ein Traum war. Vielleicht ist es ja auch einer.«
»Vielleicht. Erzähl
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