Der Drachenbeinthron
wissen möchte, ist: Was machen wir eigentlich hier oben? Gibt es keinen besseren Ort, an dem man sich elend und verstoßen fühlen kann? Auf diesen Zinnen ist es kalt wie am Arsch eines Brunnenbuddlers.« In der Hoffnung, damit Mitleid zu erregen, ließ er die Zähne klappern: »Also, warum sind wir hier oben?«
»Weil man davon den Kopf klar bekommt, von so einem bisschen Wind und Regen«, rief Strupp, der jetzt über die Zinnen wieder auf seine beiden Kumpane zukam. »Gegen die Folgen einer durchzechten Nacht gibt es kein besseres Heilmittel.« Der kleine Alte zwinkerte Simon zu, der im Stillen dachte, dass Strupp gewiss längst wieder nach unten gestiegen wäre, wenn er nicht den Anblick des inseinem prächtigen grauen Samtgewand bibbernden Sangfugols so genossen hätte.
»Na schön«, grollte der Harfner, unglücklich wie eine nasse Katze. »Ihr trinkt wie ein Mann in seiner Jugend, Strupp – beziehungsweise in seiner zweiten Kindheit –, darum ist es wohl nicht weiter verwunderlich, Euch aus reinem Vergnügen auf den Mauern herumstolzieren zu sehen wie einen Schlingel.«
»Ach, Sangfugol«, erwiderte Strupp mit einem runzligen lächeln und sah zu, wie ein weiteres Wurfgeschoss Simons auf der vom Regen gepunkteten Oberfläche des Teichs aufschlug, der sich dort angesammelt hatte, wo früher der Burganger gewesen war. »Ihr seid zu … Ho!« Strupp deutete nach unten. »Ist das nicht Herzog Isgrimnur? Ich habe gehört, er sei zurück. Ho, Herzog!« , rief der Narr und winkte der stämmigen Gestalt zu. Isgrimnur, die Augen vor dem seitlich einfallenden Regen zusammengekniffen, sah auf. »Herzog Isgrimnur! Ich bin es, Strupp!«
»Du bist das?«, schrie der Herzog zurück. »Verdammt will ich sein, wenn du es nicht bist, alter Hurensohn!«
»Kommt herauf, kommt herauf!«, lud Strupp ihn ein. »Kommt herauf und erzählt mir, was es Neues gibt!«
»Ich sollte mich wirklich nicht wundern«, bemerkte Sangfugol hämisch, als der Herzog über den überschwemmten Anger auf die Wendeltreppe an der Mauer zuwatete. »Der einzige Mensch außer einem alten Irren und einem verrückten Harfner, der hier freiwillig hinaufsteigt, muss ein Rimmersmann sein. Wahrscheinlich wird es ihm sogar zu warm sein, weil es gerade nicht graupelt oder schneit.«
Isgrimnur begrüßte Simon und Sangfugol mit einem müden Lächeln und Nicken, drehte sich dann um, packte die geäderte Hand des Narren und versetzte ihm einen kameradschaftlichen Hieb auf die Schulter. Er war so viel größer und massiger als Strupp, dass es aussah wie bei einer Bärin, die ihrem Jungen einen liebevollen Puff gibt.
Während der Herzog und der Narr ihre Neuigkeiten austauschten, warf Simon Steine und lauschte, und Sangfugol stand mit der Miene geduldigen, hoffnungslosen Leidens daneben. Niemandenüberraschte es, als sich die Rede des Rimmersmannes schon bald von gemeinsamen Freunden und vertrauten Dingen abwandte und dunklere Themen aufgriff. Als Isgrimnur die wachsende Kriegsgefahr und die Schatten im Norden erwähnte, fühlte Simon die Kälte, die der eisige Wind – seltsamerweise – eine Zeitlang vertreiben geholfen hatte, wieder mit Macht in seinen Körper zurückströmen. Und als der Herzog in leisem Ton vom Herrscher des Nordens zu erzählen anfing und dann plötzlich ausweichend wurde und meinte, manche Dinge seien zu furchterregend, als dass man offen darüber sprechen könne, schien sich die Kälte tiefer in Simons Herz einzunisten. Er starrte hinaus in die trübe Ferne, nach der dunklen Sturmfaust, die hinter dem Regen am nördlichen Horizont drohte, und spürte, wie die Erinnerung an seine Reise auf der Traumstraße wieder in ihm aufstieg …
Der nackt vor ihm aufragende steinerne Berg mit seiner Aureole aus indigoblauen und gelben Flammen. Die silbern maskierte Königin auf ihrem Eisthron, der Singsang der Stimmen in der felsigen Festung …
Schwarze Gedanken drückten ihn nieder, zerquetschten ihn wie die Lauffläche eines breiten Rades. Es würde so leicht sein, er wusste es genau, ins Dunkel hineinzugehen, in die Wärme hinter der Kälte des Sturmes …
Es ist so nahe … so nahe …
»Simon!«, rief eine Stimme an seinem Ohr. Eine Hand packte ihn am Ellenbogen … Erschreckt sah er nach unten und erblickte nur wenige Zoll von seinem Fuß entfernt die Mauerkante und senkrecht darunter das windgepeitschte Wasser des Tümpels.
»Was tust du?«, fragte Sangfugol und rüttelte an seinem Arm. »Wenn du von dieser Mauer hüpfst, brächte dir das
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