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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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umkreist.
    Wieder trocknete Tiamak seine Stirn und griff nach der Schale mit Gelbwurzeltee, der auf dem Feuerstein zog. Während er, nicht ohne dass ihn die aufgesprungenen Lippen schmerzten, davon trank, dachte er darüber nach, was er wohl tun sollte.
    Es war Morgenes’ sonderbare Botschaft, die ihn so verstört hatte. Seit Tagen rasselten ihre unheilverkündenden Worte in seinem Kopf herum wie Kiesel in einem trockenen Flaschenkürbis, während er sein Boot durch die Seitenkanäle von Wran stakte oder zum Markt nach Kwanitupul fuhr, dem Handelsdorf an der Bucht von Firannos. Einmal jeden Neumond unternahm er die Reise dorthin, drei Tage mit dem Flachboot. An den Marktbuden setzte er gewinnbringend seine ungewöhnlichen Kenntnisse dazu ein, den Kleinhändlern von Wran dabei zu helfen, mit den Kaufleuten aus Nabban und Perdruin zu feilschen. Die anstrengende Fahrt nach Kwanitupul musste sein, auch wenn er dabei nur ein paar Münzen und vielleicht einen Sack Reis verdiente. Den Reis brauchte er für jene Krebse, die zu dumm oder zu leichtsinnig waren, seinen Fallen aus dem Weg zu gehen.Allerdings zeigten nur wenige Krebse so viel Entgegenkommen, sodass Tiamaks übliche Mahlzeiten aus Fischen und Wurzeln bestanden.
    Während er in seiner kleinen Hütte hoch oben im Banyanbaum hockte und zum hundertsten Mal Morgenes’ Botschaft besorgt zwischen den Fingern drehte, erinnerte er sich an die geschäftigen, steilen Straßen von Ansis Pelippé, der Hauptstadt von Perdruin, wo er dem alten Doktor das erste Mal begegnet war.
    Neben dem Lärm und Spektakel des weitläufigen Handelshafens, der Hundert, nein viele Hundert Mal so groß wie Kwanitupul war – eine Tatsache übrigens, die ihm die anderen Wranna niemals glauben würden, hinterwäldlerische, sandkratzende Tölpel, die sie waren –, waren es die Gerüche, die Tiamak am stärksten im Gedächtnis geblieben waren, die Millionen wechselnder Düfte: der feuchte Salzgeruch der Werften mitsamt dem würzigen Beigeschmack der Fischerboote; die Kochfeuer auf den Straßen, an denen bärtige Inselbewohner Spieße mit knusprigem, brutzelndem Hammel anboten; der Moschus schwitzender, stampfender Pferde, deren stolze Reiter, Kaufleute und Soldaten, kühn mitten durch die kopfsteingepflasterten Gassen sprengten und es den Fußgängern überließen, auf einen freien Weg zu achten; und natürlich die wirbelnden Düfte von Safran und Schnellkraut, von Zimt und Mantinges, die über dem Gewürzviertel schwebten wie flüchtige, exotische Liebesangebote.
    Die bloße Erinnerung machte ihn so hungrig, dass er am liebsten geweint hätte, aber Tiamak nahm sich zusammen. Es gab Arbeit für ihn, und er konnte sich von solch fleischlichen Begierden nicht ablenken lassen. Auf irgendeine Weise brauchte ihn Morgenes, und Tiamak musste sich bereithalten.
    Auch damals war es etwas Essbares gewesen, das Morgenes’ Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hatte, vor so vielen Jahren in Perdruin. Der Doktor, auf einer seiner apothekarischen Forschungsreisen durch das Händlerviertel von Ansis Pelippé, hatte den jungen Wranna angerempelt und beinahe umgestoßen, so versunken starrte der junge Tiamak einen Berg von Marzipan auf dem Tisch eines Bäckers an. Den Doktor amüsierte und interessierte der Kleine ausden Marschen, der so weit fort von zu Hause war und dessen Entschuldigungen so vollgestopft mit sorgsam angelernten Nabbanai-Redewendungen waren. Als Morgenes erfuhr, dass der Junge sich in der perdruinesischen Hauptstadt aufhielt, um bei den Usiresbrüdern zu studieren und als Allererster seines Dorfes das sumpfige Wran verlassen hatte, kaufte er ihm ein großes Stück Marzipan und einen Becher Milch. Von diesem Augenblick an war Morgenes für den staunenden Tiamak ein Gott.
    Das schmutzige Pergamentblatt vor ihm, selbst bereits eine Abschrift der ursprünglichen Botschaft, die vom vielen Anfassen zerfallen war, wurde allmählich schwer lesbar. Allerdings hatte Tiamak es so oft angestarrt, dass es nicht mehr darauf ankam. Er hatte die Nachricht sogar in ihre ursprüngliche Verschlüsselung zurückübertragen und noch einmal übersetzt, nur um sicherzugehen, dass er keine unauffällige, aber wichtige Einzelheit übersehen hatte.
    Die Zeit des Eroberersterns ist unzweifelhaft gekommen …, hatte der Doktor geschrieben und Tiamak gewarnt, dass dies wahrscheinlich für lange Zeit sein letzter Brief sein würde. Tiamaks Hilfe, versicherte Morgenes, würde gebraucht werden, um … gewisse furchtbare Dinge, auf

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