Der Drachenbeinthron
die – so heißt es – das schändliche, verschollene Buch des Priesters Nisses hinweist …, zu verhindern .
Als er zum ersten Mal wieder in Kwanitupul gewesen war, nachdem er Morgenes’ von einem Sperling überbrachte Botschaft erhalten hatte, hatte Tiamak Middastri, einen perdruinesischen Kaufmann, mit dem er gelegentlich eine Schale Bier trank, nach den entsetzlichen Vorfällen in Erchester, der Stadt in Erkynland, in der Morgenes wohnte, gefragt. Middastri erzählte, er habe von einem Streit zwischen dem Hochkönig Elias und Lluth von Hernystir gehört, und natürlich rede jedermann seit Monaten von dem Zerwürfnis zwischen den beiden Söhnen Johan Presbyters; aber darüber hinaus wusste der Kaufmann nichts besonderes zu berichten. Tiamak, der nach Morgenes’ Botschaft Gefahren größerer und unmittelbarerer Art befürchtet hatte, war ein wenig leichter ums Herz geworden. Trotzdem ließ ihn der Gedanke an die Nachricht des Doktors nicht los.
Das schändliche, verschollene Buch … Woher hatte Morgenes das Geheimnis erfahren? Tiamak hatte nie jemandem davon erzählt; er hatte den Doktor bei einem Besuch damit überraschen wollen, den er für das nächste Frühjahr geplant hatte, seiner ersten Reise, die ihn weiter nördlich als nach Perdruin führen sollte. Nun schien es, als wisse Morgenes bereits von seinem Schatz – aber weshalb sagte er es dann nicht? Wieso erging er sich stattdessen in Andeutungen, Rätseln und Hinweisen, wie ein Krebs, der vorsichtig aus einer von Tiamaks Fallen den Fisch herausstocherte?
Der Wranna stellte die Teeschale hin und durchquerte, fast ohne sich aus seiner Hocke zu erheben, den niedrigen Raum. Der heiße, saure Wind begann aufzufrischen, das Haus schaukelte auf seinen hohen Stelzen. Unter schlangenartigem Zischen hob sich das Strohdach. Tiamak suchte in seiner Holztruhe nach dem in Blätter gewickelten Päckchen, das er sorgfältig unter dem Pergamentstapel verborgen hatte, der seine eigene Neufassung von Die unfelbarn Heylmittel der Wranna-Heyler enthielt – das, was Tiamak insgeheim gern sein ›großes Werk‹ nannte. Endlich fand er, wonach er suchte, und wickelte es aus, nicht zum ersten Mal in den letzten zwei Wochen.
Als es neben seiner Übertragung von Morgenes’ Botschaft lag, war der Gegensatz zwischen den beiden beeindruckend. Morgenes’ Worte waren von Tiamak sorgfältig mit schwarzer Wurzeltinte kopiert worden, auf billigem Pergament, das so dünngeklopft war, dass eine Kerzenflamme, eine Handbreit davon entfernt, es in Flammen hätte aufgehen lassen. Das andere, der Schatz, war auf einen Bogen straffgeglätteter Haut oder Leder geschrieben; die rötlichbraunen Worte schwankten wild über das Papier, als habe es der Schreiber zu Pferd oder während eines Erdbeben verfasst.
Es war das Juwel in Tiamaks Sammlung – und wenn es wirklich war, wofür er es hielt, wäre es die Krönung jeder Sammlung überhaupt gewesen. Er hatte es in einem großen Stoß anderer gebrauchter Pergamente gefunden, die ein Händler in Kwanitupul für Schreibübungen verkaufte. Der Händler wusste nicht, wem die Truhe mit den Papieren früher gehört hatte, nur dass sie Teil einer nicht einzeln angeführten Masse Haushaltswaren gewesen war, die er in Nabban erworben hatte. Tiamak hatte vor lauter Angst, sein Glückkönne ihn verlassen, den Drang zum Weiterfragen erstickt und das Pergament zusammen mit einem Bündel weiterer Blätter für ein glänzendes Quinisstück aus Nabban sofort an sich gebracht.
Wieder starrte er darauf, obwohl er es möglicherweise noch öfter gelesen hatte als Morgenes’ Botschaft, und er richtete den Blick vor allem auf die Oberkante des Pergamentes, die weniger zerrissen als vielmehr zernagt zu sein schien; die beschädigte Stelle endete bei den Buchstaben ARDENV YRD.
Hieß nicht Nisses’ berühmtes, verschwundenes Buch – das manche für bloße Fantasie hielten – Du Svardenvyrd? Woher konnte Morgenes von seinem Fund wissen? Tiamak jedenfalls hatte niemandem davon erzählt.
Die Nordrunen unterhalb der Überschrift, stellenweise verschmiert und zum Teil abgeblättert, waren trotzdem durchaus lesbar, abgefasst im uralten Nabbanai der Zeit vor fünfhundert Jahren.
… Bringt aus Nuannis Felsgarten her
den Blinden, der sehen kann;
findet das Schwert, das die Rose befreit,
am Fuße des Rimmerbaums dann;
sucht in dem Schiff auf der seichtesten See
den Ruf, dessen lauter Schall
des Rufers Namen widerhallt –
und sind Schwert, Ruf und Mann
dem
Weitere Kostenlose Bücher