Der Drachenbeinthron
schnitt er mit dem Messer seinen schwarzen Mantel in lange Streifen. Bald darauf begann er, ein paar schlanke, junge Bäume abzusägen. Es war eine furchtbare, mühselige Arbeit mit seinen geschundenen Rippen, aber er missachtete, so gut er konnte, den brennenden Schmerz. Er hatte zwei hervorragende Gründe, am Leben zu bleiben: die Pflicht, seiner Gebieterin vom unerwarteten Angriff der Sithi zu berichten, und seinen eigenen, noch stärker gewordenen Wunsch nach Rache an diesem zusammengewürfelten Gesindel, das ihm schon allzu oft einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte.
Das blauweiße Auge des Mondes spähte längst neugierig durch die Baumwipfel, als er endlich mit dem Schneiden fertig war. Mit Hilfe der Streifen aus dem Mantel band er sich eine Anzahl der kürzeren Stöcke als Schienen fest um beide Beine. Dann saß er da, die Beine steif vor sich ausgestreckt wie ein Kind, das im Staub Nullen und Kreuze spielt, und schnürte kurze Querstücke an die Spitzen der beiden langen Stäbe, die übriggeblieben waren. Er hielt sie vorsichtig fest und packte dann wieder Niku’as Halsband, um sich von dem großen, leichenblassen Hund in die Höhe ziehen zu lassen. Gefährlich schwankend stand er da, bis es ihm gelang, sich die neugebauten Krücken unter die Arme zu schieben.
Er versuchte ein paar Schritte und schaukelte dabei ungeschickt auf den starren Beinen. Es würde schon gehen, entschied er und zuckte vor dem bohrenden Schmerz zusammen. Er hatte keine Wahl.
Er warf einen Blick auf den Helm mit der geifernden Schnauze, der unter ihm im Schnee lag, und überlegte, wie mühsam es sein würde, ihn aufzuheben, und wie schwer dieses jetzt unbrauchbare Ding wöge. Dann bückte er sich keuchend und griff trotzdem danach. In den heiligen Höhlen von Sturmrspeik war ihm der Helmverliehen worden, von IHR, als sie ihn zu ihrem geweihten Jäger ernannte – ihn, einen Sterblichen! Er konnte ihn ebenso wenig im Schnee liegen lassen, wie er sein eigenes pochendes Herz hätte aufgeben können. Er erinnerte sich an jenen unfassbar berauschenden Augenblick, an das Flackern der blauen Lichter in der Halle der Atmenden Harfe, als er vor dem Thron, vor dem ruhigen, gelassenen Schimmer ihrer silbernen Maske gekniet hatte.
Eine kurze Zeit betäubte der Wein der Erinnerung den furchtbaren Schmerz. Niku’a trottete lautlos hinter ihm her, und Ingen Jegger kletterte hinkend den langen, bewaldeten Hang hinunter und dachte dabei sorgfältig über seine Rache nach.
Simon und seine Gefährten, jetzt um einen Mann vermindert, spürten wenig Lust zum Reden, und die Sithi ermunterten sie auch nicht dazu. Schweigend stapften sie langsam durch den Schneeteppich der Vorberge, während der graue Nachmittag in den Abend überging.
Die Sithi schienen ihr Ziel genau zu kennen, obwohl für Simon die fichtenbedeckten Hänge alle gleich aussahen und ein Ort wie der andere. Zwar bewegten sich die Bernsteinaugen des Anführers rastlos im maskenhaften Gesicht, aber nie machte er den Eindruck, als suche er etwas; eher sah es aus, als lese er die komplizierte Sprache der Landschaft so kenntnisreich wie Vater Strangyeard die Bücher auf seinen Regalen.
Das einzige Mal, dass der Sithiführer überhaupt eine Regung zeigte, war gleich zu Anfang ihres Marsches, als Qantaqa eine Böschung heruntergetrottet kam und sich zu Binabik gesellte; mit zuckender Nase schnüffelte sie an der Hand des Trolls, den Schwanz unruhig zwischen den Beinen. Der Sitha hob mit leiser Neugier die Brauen und tauschte dann Blicke mit seinen Kameraden, deren ohnehin schmale Augen noch schmaler geworden waren. Er gab kein für Simon erkennbares Zeichen, aber die Wölfin durfte ungehindert neben ihnen herlaufen.
Das Tageslicht verschwand bereits, als die seltsamenWandergefährten endlich nach Norden schwenkten und kurz darauf langsam den Fuß eines Steilhanges umkreisten, dessen verschneite Flanken mit daraus hervorragenden, kahlen Felsen besetzt waren. Simon, dessen Schock sich so weit gelegt hatte, dass er sich seiner schmerzhaft kalten Füße nur allzu bewusst war, empfand stille Dankbarkeit, als der Anführer der Sithi ihnen winkte, stehen zu bleiben.
»Hier«, sagte er und deutete auf einen gewaltigen Felsblock, der sich hoch über ihren Köpfen türmte. »Unten.« Er deutete wieder, diesmal auf einen breiten, gürtelhohen Spalt an der Vorderseite des Felsens. Bevor noch jemand ein Wort sagen konnte, schlüpften zwei der Sithiwachen behende an ihnen vorbei und glitten, den
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