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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Deornoth steckte die Nase in den anderen Kasernenraum und sah dessen Bewohner bereits aufgestanden und hastig dabei, sich zu wappnen.
    »Ho, Naglimunder!«, rief er und schwang die Faust, während er mit der anderen den Gürtel zuhielt. »Jetzt gilt es, bei der liebe Gottes, jetzt gilt es!«
    Er lächelte über den wilden Schrei, der ihm antwortete, und rannte nach der Treppe. Unterwegs richtete er seinen Helm.
    Der obere Stock des großen Torhauses in der westlichen Vormauer sah im Schein des Halbmondes sonderbar unförmig aus: Erst vor wenigen Tagen hatte man die Bretterverschalungen fertiggestellt, Holzwände und ein Dach, um die Verteidiger vor Pfeilen zu schützen. Schon wimmelte es dort oben von halbbekleideten Wachen, auf deren hin und her huschende Gestalten die durch die Bretterwände sickernden Mondstrahlen unheimliche Streifen malten.
    Überall auf der Mauer loderten Fackeln auf. Bogenschützen und Spießkämpfer nahmen ihre Stellungen ein. Wieder krähte eine Trompete, wie ein Hahn, der nicht mehr länger auf den Morgen warten wollte, und rief weitere Soldaten auf den Hof hinaus.
    Der schrille Protest hölzerner Räder wurde lauter. Deornoth starrte auf die kahle, abschüssige Ebene unterhalb der Stadtmauer und suchte den Ursprung des Geräusches. Er wusste, was es sein musste, ohne doch wirklich auf den Anblick gefasst zu sein.
    »Gottes blutiger Baum !«, fluchte er und hörte, wie der Mann neben ihm die Verwünschung wiederholte.
    Was da langsam wie gefesselte Giganten auf sie zurollte und in den Schatten vor der Morgendämmerung Gestalt gewann, waren sechs gewaltige Belagerungstürme, deren hölzerne Plattformen Naglimunds mächtiger Vormauer an Höhe keinen Zoll nachstanden. Über und über mit dunklen Tierhäuten behangen, schoben sie sich vorwärts wie baumlange Bären mit kantigen Schädeln; das Ächzen und Geschrei der Männer, die sie bewegten, und das Kreischen der haushohen Räder klangen wie Stimmen von Ungeheuern, wie sie seit Urzeiten niemand mehr erblickt hatte.
    Deornoth überkam eine nicht unangenehme Wallung von Furcht. Endlich war der König da; sein Heer stand vor ihren Toren. Beim Guten Gott, wie immer es auch ausgehen mochte, von diesem Tag würden einst die Lieder singen!
    »Spart eure Pfeile, Dummköpfe!«, schrie er, als einige der Verteidiger wild ins Dunkel schossen, obwohl die Pfeile die noch fernen Ziele gar nicht erreichen konnten. »Wartet, wartet, wartet! Sie werden schon bald näher bei euch sein, als euch lieb ist!«
    Wie als Antwort auf das Feuer, das auf Naglimunds Wällenloderte, ließ Elias’ Heer seine Trommeln durch die Finsternis dröhnen, ein lautes, rollendes Grollen, das nach und nach in einen schweren Doppelschlag – es klang wie die Schritte marschierender Titanen – überging. Die Verteidiger bliesen von allen Türmen ihre Hörner – nur ein schwacher und blecherner Ton gegen das Krachen der Trommeln, aber trotzdem ein Zeichen von Leben und Widerstand.
    Deornoth fühlte eine Hand auf der Schulter und blickte auf. Neben ihm standen zwei gepanzerte Gestalten: Isorn mit dem Bärenhelm und der finstere Einskaldir in einer Stahlhaube, die als einzigen Schmuck einen über die Nase gezogenen Metallschnabel aufwies. Die Augen des schwarzbärtigen Rimmersmannes brannten wie Fackeln, als er mit fester Hand nach dem Sohn seines Herrn Isgrimnur griff und ihn behutsam, aber kräftig zur Seite schob, um selbst auf die Zinnen zu treten. Er starrte in die Dämmerung hinaus und stieß ein dumpfes Grollen aus wie ein Hund.
    »Dort drüben«, knurrte er und deutete auf die Sockel der Belagerungstürme, »am Fuß der großen Bären: Steinschleudern und Rammböcke.« Er zeigte auf mehrere weitere große Maschinen, die hinter den Türmen herfuhren. Darunter befanden sich einige Katapulte, die langen, starken Arme zurückgebogen wie die Köpfe erschreckter Schlangen. Andere sahen nur wie lederbedeckte Kästen aus, deren Panzerung das Innenleben verbarg; sie dienten dazu, wie hartschalige Krebse, durch Pfeile und Steine unversehrt, bis an die Mauer zu gelangen, um dort ihre jeweiligen Aufgaben auszuführen.
    »Wo ist der Prinz?«, fragte Deornoth, der den Blick nicht von den herankriechenden Maschinen losreißen konnte.
    »Schon unterwegs«, antwortete Isorn, der sich auf die Zehen gestellt hatte, um über Einskaldirs Kopf hinwegzusehen. »Seitdem er von der Unterredung mit Elias zurückgekehrt ist, steckt er mit Jarnauga und dem Archivar zusammen. Ich hoffe nur, dass sie sich

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