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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ganzen Welt wäre Simon lieber gewesen, als zusammengerollt in Naglimund im Bett zu liegen, unter Decken versteckt, und wenn auch die blutigste Schlacht in der ganzen Geschichte von Osten Ard unmittelbar vor seiner Tür getobt hätte. Er war davon überzeugt, dass er, wenn jetzt jemand käme und ihm einen warmen, trockenen Schlafplatz anböte, lügen oder töten oder Usires’ Namen missbrauchen würde, nur um diesen Platz zu bekommen. Er saß da, in seine Satteldecke gewickelt, damit die Zähne nicht so klapperten, und war ganz sicher, er könnte fühlen, wie ihm die Wimpern an den Lidern festfroren.
    In der endlosen Finsternis hinter dem schwachen Schein des Feuers jappten und heulten die Wölfe und führten lange und klagende, komplizierte Gespräche miteinander. Vor zwei Nächten, als die Gesellschaft zum ersten Mal ihren Gesang vernommen hatte, war Qantaqa den ganzen Abend nervös um das Lagerfeuer herumgestrichen. Inzwischen hatte sie sich an das nächtliche Rufen ihrerArtgenossen gewöhnt und reagierte nur manchmal mit einem bedrückten Winseln.
    »W-warum s-sagt sie ihnen nicht auch mal w-was?«, erkundigte sich Haestan. Als Mann der Ebenen des erkynländischen Nordens liebte er die Wölfe ebenso wenig wie Sludig, obwohl er für Binabiks Reittier fast so etwas wie Zuneigung entwickelt hatte. »W-warum erklärt sie ihnen nicht, s-sie s-sollten weggehen und andere Leute belästigen?«
    »So wie die Menschen leben auch nicht alle, die zu Qantaqas Art gehören, in Frieden miteinander«, erwiderte Binabik, was niemanden wirklich beruhigte.
    Heute Abend tat die große Wölfin tapfer ihr Bestes, das Heulen nicht zu beachten, indem sie zu schlafen vorgab – aber sie verriet sich durch die gespitzten Ohren, die sich den lauter werdenden Rufen zudrehten. Das Wolfslied, fand Simon, als er seine Decke fester um sich zog, war so ziemlich der einsamste Klang, den er je gehört hatte.
    Warum bin ich nur hier? , grübelte er. Warum sind wir alle hier? In diesem grauenhaften Schnee suchen wir nach einem Schwert, an das seit Jahren überhaupt niemand mehr gedacht hat. Inzwischen sitzen die Prinzessin und alle anderen Leute in der Burg und warten darauf, dass der König sie angreift. Wie dumm das ist! Binabik ist im Gebirge, im Schnee, aufgewachsen – Grimmric, Haestan und Sludig sind Soldaten – was die Sithi wollen, weiß Ädon allein. Aber wieso bin ich hier? Es ist so dumm!
    Das Heulen verstummte. Ein langer Zeigefinger berührte Simons Hand. Er fuhr vor Schreck zusammen.
    »Lauschst du den Wölfen, Seoman?«, erkundigte sich Jiriki.
    »D-das ist schwer zu vermeiden.«
    »Sie singen solch wilde Lieder.« Der Sitha schüttelte den Kopf.
    »Und gleichen euch Sterblichen. Sie singen davon, wo sie gewesen sind und was sie gesehen und gewittert haben. Sie erzählen einander, wo die Elche ziehen und wer sich mit wem gepaart hat, aber meistens rufen sie nur Ich bin! Hier bin ich!« Jiriki lächelte mit verschleierten Augen und beobachtete das verglimmende Feuer.
    »Und Ihr g-glaubt, das w-würden auch w-wir Sterblichen sagen?«
    »Mit Worten und ohne Worte«, erwiderte der Prinz. »Du musst versuchen, es mit unseren Augen zu sehen. Den Zida’ya kommt euer Geschlecht oft wie Kinder vor. Ihr seht, dass die langlebigen Sithi nicht schlafen, dass wir die lange Nacht der Geschichte hindurch wach bleiben. Ihr Menschen wollt, wie die Kinder, mit den Älteren am Feuer aufbleiben, um die Lieder und Geschichten zu hören und dem Tanz zuzuschauen.« Er machte eine Gebärde, als sei die Dunkelheit ringsum voller unsichtbarer Festgäste.
    »Aber das könnt ihr nicht, Simon«, fuhr er freundlich fort. »Ihr dürft nicht. Eurem Volk wurde die Gabe des letzten Schlafes verliehen, so wie es unserer Art gegeben ist, die ganze Nacht unter den Sternen zu wandeln und zu singen. Vielleicht liegt sogar in euren Träumen ein Reichtum, den wir Zida’ya nicht verstehen.«
    Die Sterne am schwarzen Kristallhimmel schienen davonzugleiten und tiefer in der weiten Nacht zu versinken. Simon dachte an die Sithi und an ein Leben, das kein Ende hatte, und konnte sich nicht vorstellen, wie das sein mochte. Bis ins Mark frierend – bis in die Seele, so schien es ihm – beugte er sich dichter zum Feuer und zog die feuchten Fausthandschuhe aus, um seine Hände zu wärmen.
    »Aber auch die S-sithi können sterben, n-nicht w-wahr?«, erkundigte er sich vorsichtig und verfluchte sein vom Frost verursachtes Gestotter.
    Jiriki neigte sich zu ihm. Seine Augen waren

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