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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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schmal geworden. Einen entsetzten Moment glaubte Simon, der Sitha wolle ihn seiner dreisten Frage wegen schlagen. Stattdessen griff Jiriki nach Simons zitternder Hand und hielt sie schräg.
    »Dein Ring«, sagte er und starrte auf den fischförmigen Schnörkel darauf. »Ich hatte ihn noch nicht bemerkt. Von wem hast du ihn?«
    »Von m-meinem … m-meinem M-meister, k-könnte m-man wohl sagen«, stammelte Simon. »D-doktor M-morgenes vom Hochhorst. Er hat ihn mir nachgeschickt, zu Binabik.« Der kühle, kräftige Griff der Hand des Sithiprinzen verwirrte ihn, aber er wagte sich nicht daraus zu lösen.
    »Dann gehörst du zu denen deiner Rasse, die das Geheimnis kennen?«, fragte Jiriki und musterte ihn scharf. Die Tiefe seinergoldenen Augen, denen der Feuerschein die Farbe von Rost gab, war erschreckend.
    »G-geheimnis? N-n-nein! Nein, ich k-kenne k-kein Geheimnis.«
    Jiriki starrte ihn an und fixierte ihn mit seinen Augen, als hätte er Simon mit beiden Händen am Kopf gepackt.
    »Aber warum gab er dir dann den Ring?«, fragte Jiriki hauptsächlich sich selber und ließ kopfschüttelnd Simons Hand los. »Und ich selbst gab dir einen Weißen Pfeil! Wahrlich, einen seltsamen Weg haben die Ahnen für uns erdacht.« Er drehte sich um und starrte in das schwach flackernde Feuer. Simons Fragen wollte er nicht beantworten.
    Geheimnisse, dachte Simon erbost, noch mehr Geheimnisse! Binabik hat welche. Morgenes hatte welche. Und die Sithi sind voll davon! Ich habe alle Geheimnisse satt. Warum hat man gerade mich für diese Art von Bestrafung ausgesucht? Warum will mir jeder dauernd seine schrecklichen Geheimnisse aufdrängen?
    Er weinte eine Weile lautlos vor sich hin, umarmte zitternd seine Knie und wünschte sich lauter unmögliche Dinge.
    Am Nachmittag des nächsten Tages erreichten sie die östlichen Ausläufer des Dimmerskogs. Obwohl ein dichter weißer Schneemantel den Forst bedeckte, schien er trotzdem, wie Binabik ihn genannt hatte, ein Ort der Schatten zu sein. Die Gesellschaft trat nicht unter sein Dach und hätte es vielleicht nicht einmal dann getan, wenn ihr Weg in diese Richtung geführt hätte, so bedrohlich war die Stimmung, die von dem Wald ausging. Die Bäume wirkten trotz ihrer Größe – und es waren Riesen unter ihnen – zwergwüchsig und verkrüppelt, als krümmten sie sich verbittert unter ihrer Last aus benadelten Ästen und Schnee. Die Pfade zwischen den schiefen Stämmen waren aberwitzig gewunden und ähnelten den von riesenhaften Maulwürfen gegrabenen Tunneln, die am Ende in gefährliche, rätselhafte Tiefen führten.
    Simon, der fast lautlos an ihnen vorüberritt – nur die Hufe seines Pferdes knirschten leise im Schnee –, stellte sich vor, er betrete durch die klaffenden schwarzen Löcher im Gesträuch die von Borkensäulen getragenen, weiß überdachten Hallen des Dimmerskogs, bis erendlich – wohin kam? Was mochte dort drinnen liegen? Vielleicht das dunkle, heimtückische Herz des Waldes, ein Ort, an dem die Bäume im Einklang miteinander atmeten und – schuppig Ast an Ast reibend – endlose Gerüchte austauschten oder durch Zweige und gefrorene Blätter boshafte Winde in die Welt setzten?
    Auch in dieser Nacht lagerten sie im Freien, obwohl sich ganz in ihrer Nähe der Dimmerskog duckte wie ein riesiges, schlafendes Tier. Aber keiner wollte die Nacht unter den Ästen des Waldes verbringen, vor allem Sludig nicht, der mit Geschichten über die grässlichen Wesen aufgewachsen war, die in den bleichen Gängen zwischen den Bäumen lauerten. Den Sithi schien es nichts auszumachen, aber auch Jiriki war einen Teil des Abends damit beschäftigt, sein schwarzes Hexenholzschwert zu ölen. Wieder kauerte die kleine Schar um ein ungeschütztes Feuer, und den ganzen langen Abend wehte der messerscharfe Ostwind über sie hinweg, ließ überall große Schneefontänen in die Höhe schießen und zerrte an den Wipfeln des Dimmerskogs. Als sie sich schlafen legten, umgab sie das knarrende Geräusch des Waldes und der vom Wind gepeitschten Äste, die sich aneinanderrieben.
    Zwei weitere langsame Tagesritte führten sie um den Wald herum und über das letzte Stück offener eisiger Fläche an die Ausläufer des Gebirges heran. Die Landschaft war eintönig, und die Schneekruste glitzerte im grellen Tageslicht. Simon bekam vom ständigen Zusammenkneifen der Augen Kopfweh, allerdings schien es etwas wärmer zu werden. Zwar fiel immer noch Schnee, aber der beißende Wind drang nicht mehr so durch Mantel und

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