Der Drachenbeinthron
irgendwo treffen wollte und nicht aufgetaucht ist? Ich hatte nichts damit zu tun, das verspreche ich Euch.« Er nahm einen langen Schluck aus dem Schlauch und schüttelte sich.
»Idiot«, sagte Isgrimnur, aber es klang nicht grob. »Ich meine, dass der Prinz fort ist. Nicht mehr auf dem Hochhorst.«
»Unmöglich«, versetzte Strupp energisch. Mit dem zweiten zittrigen Schluck Malvasier hatte er einen Teil seiner Selbstbeherrschung zurückgewonnen. »Er reist nicht vor nächster Woche ab, das hat er selbst erzählt. Er hat mir gesagt, ich könne mitkommen, wenn ich wolle, und sein Hofnarr in Naglimund sein.« Strupp legte den Kopf schief und spuckte aus. »Ich habe ihm erklärt, dass ich ihm morgen – das heißt, inzwischen wohl heute – meine Antwort geben würde, denn Elias scheint es gleichgültig zu sein, ob ich bleibe oder gehe.« Er schüttelte den Kopf. »Und dabei war ich doch seines Vaters liebster Gefährte …«
Auch Isgrimnur schüttelte – voller Ungeduld – den Kopf, und sein graumelierter Bart bebte. »Nein, er ist fort. Muss kurz nach Mitternacht aufgebrochen sein, soweit ich das feststellen konnte – jedenfalls hat das der Kerl von der Erkyngarde gesagt, den ich in seinem leeren Zimmer fand, als ich zu unserer Verabredung kam. Josua hatte mich gebeten, so spät zu kommen, obwohl ich mich lieber schlafen gelegt hätte, aber er sagte, es gebe etwas, das nicht warten könne. Klingt das nach einem Mann, der abreisen würde, ohne mir auch nur eine Nachricht zu hinterlassen?«
»Wer weiß?«, meinte Strupp, das runzlige Gesicht bedrückt und nachdenklich. »Vielleicht war das der Grund, weshalb er Euch sprechen wollte – weil er heimlich fortwollte.«
»Warum hat er dann nicht gewartet, bis ich da war? Die Sache gefällt mir nicht.« Isgrimnur hockte sich nieder und stocherte mit einem herumliegenden Stock in den Kohlen. »In den Gängen dieses Hauses weht heute Nacht eine seltsame Luft.«
»Josua handelt oft merkwürdig«, erklärte Strupp ruhig. »Er ist launenhaft – bei Gott, was hat er für Launen! Wahrscheinlich ist er unterwegs, um im Mondschein Eulen zu jagen, oder huldigt sonst einem vertrackten Zeitvertreib. Habt keine Sorge.«
Nach einem Augenblick des Schweigens stieß Isgrimnur lang den Atem aus. »Ach, bestimmt hast du recht«, meinte er, und sein Ton klang beinahe überzeugend. »Selbst wenn Elias und er einander offen den Krieg erklärt hätten, könnte hier im Haus seines Vaters, vor Gott und dem Hof, doch nichts geschehen.«
»Nichts, als dass Ihr mir mitten in der Nacht den Kopf einschlagen wollt. Gott scheint heute Abend etwas unachtsam zu sein.« Strupp grinste sein Runzelgrinsen.
Während die beiden Männer ihre Unterhaltung mit gedämpfter Stimme vor den matten Kohlen fortsetzten, stahl Simon sich leise zurück ins Bett. Er lag noch lange wach und starrte, in seine Decke gewickelt, ins Dunkel; als aber der Hahn unten im Hof endlich das erste aufsteigende Sonnenglühen bemerkte, war Simon längst wieder eingeschlafen.
»Und nun vergesst nur nicht«, warnte Morgenes und wischte sich mit einem leuchtend blauen Tuch den Schweiß von der Stirn, »dass ihr nichts esst, bevor ihr es zu mir gebracht und mich danach gefragt habt. Vor allem nichts mit roten Flecken. Verstanden? Viele von den Sachen, die ihr mir zusammensuchen sollt, sind reinstes Gift. Vermeidet also – falls euch das möglich ist – jede Dummheit.
Simon, du bist der Anführer! Ich mache dich für die Sicherheit der anderen verantwortlich.«
Die anderen, das waren Jeremias der Wachszieherjunge und Isaak, ein junger Page aus den Gemächern des oberen Stockwerks. Der Doktor hatte diesen heißen Feyevernachmittag dazu ausersehen, eine Pilz- und Kräuter-Suchaktion im Kynswald zu veranstalten, einem Wäldchen von weniger als einem halben Quadratkilometer Ausdehnung, das sich unter der Westmauer des Hochhorstes an das Steilufer des Kynslaghs duckte. Durch die Dürre waren Morgenes’ Vorräte an wichtigen Grundstoffen besorgniserregend zusammengeschrumpft, und der Kynswald, der so nah am großen See lag, schien ein geeigneter Ort zu sein, um die feuchtigkeitsliebenden Schätze des Doktors aufzuspüren.
Während sie durch den Wald ausschwärmten, blieb Jeremias zurück und wartete, bis das knirschende Geräusch von Morgenes’ Schritten sich im Knistern des braunen Unterholzes verloren hatte.
»Hast du ihn schon gefragt?« Jeremias’ Kleidung war bereits schweißnass, sodass sie an ihm klebte.
»Nein.«
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