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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Simon hatte sich niedergebückt, um einer Presspatrouille von Ameisen zuzusehen, die im Gänsemarsch den Stamm einer Vestivegg-Kiefer hinaufeilten. »Ich werde es heute tun.«
    »Und wenn er nein sagt?« Jeremias beäugte die Prozession mit einigem Widerwillen. »Was machen wir dann?«
    »Er wird nicht nein sagen!« Simon stand auf. »Und wenn … nun, dann lasse ich mir eben etwas einfallen.«
    »Was flüstert ihr denn da?« Der kleine Isaak war auf die Lichtung zurückgekehrt. »Es gehört sich nicht, Geheimnisse zu haben.« Obwohl er drei oder vier Jahre jünger war als Simon und Jeremias, hatteder junge Page sich bereits eine ›vornehme‹ Redeweise angewöhnt. Simon warf ihm einen finsteren Blick zu.
    »Das geht dich gar nichts an.«
    »Wir haben uns den Baum hier angeschaut«, erläuterte Jeremias, der sich sofort schuldig fühlte.
    »Ich hätte gedacht«, bemerkte Isaak listig, »dass es hier genügend Bäume gibt, die man ansehen kann, ohne heimlich zurückzubleiben und sich Geheimnisse zu erzählen.«
    »Oh, aber dieser hier«, begann Jeremias, »dieser hier ist –«
    »Vergiss den blöden Baum«, unterbrach ihn Simon angewidert. »Gehen wir! Morgenes ist weit voraus und wird uns einiges erzählen, wenn er mehr sammelt als wir.« Er duckte sich unter einem Ast durch und watete in das knöchelhohe Gestrüpp des Unterholzes hinein.
    Als sie nach gut anderthalb Stunden eine Pause machten, um einen Schluck Wasser zu trinken und im Schatten auszuruhen, waren die drei Jungen bis zu den Ellenbogen und Knien mit feinem, rotem Staub bedeckt. Jeder trug ein Bündel mit seinen in ein Tuch gewickelten Funden: Simons war am größten, die Bündel von Isaak und Jeremias waren von bescheidenerem Umfang. Sie fanden eine große Föhre, die ihnen als gemeinschaftliche Rückenlehne diente. Die staubigen Beine hatten sie ringsum ausgestreckt wie die Speichen eines Rades. Simon warf einen Stein über die Lichtung. Er fiel in einen Haufen abgebrochener Äste und ließ die welken Blätter zittern.
    »Warum ist es bloß so heiß?«, stöhnte Jeremias und wischte sich die Stirn. »Und warum ist mein Tuch mit albernen Pilzen gefüllt, dass ich mir den Schweiß mit den Händen abstreifen muss?« Er hielt die schlüpfrigen, feuchten Handflächen hoch.
    »Es ist heiß, weil es heiß ist«, knurrte Simon. »Weil kein Regen fällt. Mehr nicht.«
    Eine längere Weile verging ohne Worte. Selbst die Insekten und Vögel schienen verschwunden zu sein, sich an dunkle Orte zurückgezogen zu haben, um dort schweigend den trockenen, stillen Nachmittag zu verschlafen.
    »Eigentlich müssten wir noch froh sein, dass wir nicht inMeremund sind«, bemerkte schließlich Jeremias. »Sie sagen, dort wären tausend Menschen an der Pest gestorben.«
    »Tausend?«, sagte Isaak verächtlich. Die Hitze hatte sein schmales, blasses Gesicht stark gerötet. »Viele Tausende! Die ganze Residenz spricht von nichts anderem. Mein Herr läuft mit einem in Weihwasser getauchten Tuch vor dem Gesicht auf dem Hochhorst herum, und dabei ist die Pest nicht einmal auf hundert Meilen an uns herangekommen.«
    »Weiß dein Herr, was in Meremund vorgeht?«, fragte Simon interessiert – Isaak war doch zu etwas nütze. »Spricht er denn mit dir darüber?«
    »Andauernd.« Der kleine Page genoss die Aufmerksamkeit des Älteren. »Der Bruder seiner Frau ist der Bürgermeister. Sie waren unter den Ersten, die vor der Pest geflohen sind. Er hat viel Neues von ihnen erfahren.«
    »Elias hat Guthwulf von Utanyeat zur Königlichen Hand ernannt«, meinte Simon. Jeremias stöhnte und rutschte am Baumstamm herunter, um sich der Länge nach auf dem mit Fichtennadeln bedeckten Boden auszustrecken.
    »Das stimmt«, erwiderte Isaak und kratzte mit einem langen Zweig im Staub. »Und er hat die Pest dort festgehalten. Sie hat sich nicht ausgebreitet.«
    »Woher kommt sie, diese Seuche?«, erkundigte sich Simon. »Gibt es Leute in der Residenz, die das wissen?« Er kam sich töricht vor, einem Kind, das so viel jünger war als er selbst, Fragen zu stellen, aber Isaak horchte auf den Klatsch im oberen Stockwerk und war nicht abgeneigt, ihn anderen weiterzuerzählen.
    »Niemand weiß es genau. Manche Leute sagen, neidische Hernystir-Kaufleute aus Abaingeat jenseits des Flusses hätten die Brunnen vergiftet. Aber in Abaingeat sind auch viele Leute gestorben.« Isaak sagte es mit einem gewissen Ausdruck der Befriedigung – schließlich waren die Hernystiri keine Ädoniter, sondern Heiden, ganz

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