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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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auseinandertreiben konnte. Am östlichen Horizont türmte sich eine schwarze Wolke auf.
    Es dauerte einen langen, ratlosen Augenblick, bevor Simon begriff, dass es Rauch war, was er da sah. Eine dichte Rauchsäule beschmutzte den blassen, reinen Himmel.
    Falshire brannte.

10
König Schierling

    wei Tage später, am Morgen des letzten Marristages, wollte Simon gerade mit den anderen Küchenjungen zum Frühstück gehen, als ihn eine schwere, schwarze Hand auf seiner Schulter jäh zurückhielt. Einen unwirklichen, schrecklichen Augenblick lang fand er sich in seinen Thronsaaltraum zurückversetzt, in den schwerfälligen Tanz der Malachitkönige.
    Dann aber zeigte sich, dass die Hand einen rissigen, fingerlosen schwarzen Handschuh trug. Auch ihr Besitzer bestand nicht aus dunklem Stein – obwohl es Simon, der verblüfft in das Gesicht von Inch starrte, vorkam, als hätte Gott bei seiner Erschaffung nicht darauf geachtet, genügend Lebensmaterial bereitzuhalten, sodass dieses in letzter Minute durch etwas Lebloses, Unbewegliches hatte ersetzt werden müssen.
    Inch beugte sich hinunter, bis sein bärtiges Gesicht ganz nahe vor Simons Nase war; selbst sein Atem schien eher nach Stein zu riechen als nach Wein oder Zwiebeln oder anderen gewöhnlichen Dingen.
    »Doktor will dich sehen.« Er rollte die Augen von einer Seite zur andern. »Sofort, oder so.«
    Die anderen Küchenjungen warfen neugierige Blicke auf Simon und den massigen Inch, liefen aber, ohne stehen zu bleiben, weiter. Simon versuchte sich unter der schweren Hand hervorzuwinden und sah verzweifelt zu, wie die anderen verschwanden.
    »Also gut. Ich bin gleich da«, antwortete er, wand sich noch einmal und kam frei. »Ich hole mir nur schnell einen Kanten Brot, den ich unterwegs essen kann.« Er trabte den Gang zum Essraum der Dienstboten hinunter. Als er einen verstohlenen Blick zurückwarf,stand Inch immer noch an derselben Stelle und verfolgte seinen Rückzug mit den ruhigen Augen eines Stiers auf der Wiese.
    Als Simon bald darauf mit einem Brotranken und einem keilförmigen Stück schmackhaften weißen Käses zurückkam, bemerkte er zu seinem Kummer, dass Inch auf ihn gewartet hatte. Unaufgefordert marschierte er auf dem Weg zu Morgenes’ Wohnung neben ihm her. Simon bot ihm etwas zu essen an und gab sich Mühe, ihm dabei zuzulächeln, aber Inch glotzte nur gleichgültig und gab keine Antwort.
    Als sie über den von ausgetrockneten Wagenspuren durchzogenen offenen Platz des Mittleren Zwingers kamen und sich durch die Herde von Schreibpriestern schlängelten, die sich auf ihrer täglichen Pilgerfahrt zwischen der Staatskanzlei und der Halle der Archive befand, räusperte sich Inch, als wollte er etwas sagen. Simon, der sich in seiner Gegenwart derart unwohl fühlte, dass ihn selbst Schweigen nervös machte, sah erwartungsvoll auf.
    »Warum …«, begann Inch endlich, »… warum nimmst du mir meinen Platz weg?« Er wandte seine wächsernen Augen nicht von dem mit Priestern verstopften Pfad vor ihnen ab.
    Jetzt war es Simons Herz, das die Eigenschaften von Stein annahm: kalt, schwer und lastend. Dieses Ackertier, das sich für einen Menschen hielt, tat ihm leid, aber er hatte zugleich auch Angst vor ihm.
    »Ich … ich habe dir doch deinen Platz nicht weggenommen.« Sogar in seinen eigenen Ohren hatten die abwehrenden Worte einen falschen Klang. »Lässt dich der Doktor nicht weiterhin kommen und sich von dir beim Tragen und Aufbauen von Sachen helfen? Mir bringt er etwas anderes bei, ganz andere Dinge.«
    Schweigend setzten sie ihren Weg fort. Endlich kam Morgenes’ Wohnung in Sicht, in den alles überwuchernden Efeu gehüllt wie das Nest eines kleinen, aber einfallsreichen Tieres. Als sie vielleicht noch zehn Schritte davon entfernt waren, packte Inchs Hand Simons Schulter ein zweites Mal.
    »Bevor du kamst«, sagte Inch, und sein breites, rundes Gesicht bewegte sich zu Simon hinunter wie ein Korb, den man von oben ausdem Fenster lässt, »… bevor du kamst, war ich sein Gehilfe. Ich sollte der Nächste sein.« Er zog die Stirn in Falten, schob die Unterlippe vor und krümmte den durchgehenden Balken seiner Augenbrauen. Seine Augen waren noch immer mild und traurig. »Doktor Inch, das wäre ich geworden.« Er richtete den Blick auf Simon, der halb und halb fürchtete, das Gewicht der Tatze auf seinem Schlüsselbein werde ihn zusammenbrechen lassen. »Ich mag dich nicht, Küchenjunge.«
    Inch ließ ihn los und schlurfte davon. Über der Bergkette seiner

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