Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
sie ihre Hand zurückziehen konnte, hielt Ben sie mit seiner fest und suchte mit den Fingerspitzen den Kontakt zum Drachen. Augenblicklich setzte das Pulsieren ein, und Anula stieß ein leises »Doch!« aus.
Langsam wandte sie sich ihm zu und sah ihm überrascht in die Augen. Ihre glänzten, wahrscheinlich vertrug sie wirklich nicht viel Wein und hatte den zweiten Becher nur getrunken, weil Ben bezahlte. Verwirrt sah sie ihn an.
Ihr Gesicht war seinem so nah, auch ihr leicht geöffneter Mund, und es wäre einfach, sie jetzt zu küssen, dachte er weiter, doch er tat es nicht. Ihre Lippen sahen so verlockend aus, aber das konnte er Nica nicht antun. Zwar würde sie es nie erfahren, und natürlich wäre es keine Untreue, schließlich wusste Nica nichts von seinen Gefühlen und er hatte ihr auch keine Treue versprochen, nicht laut, aber bald würde er ihr seine
Liebe gestehen, und er würde von dem Kuss hier wissen, und wahrscheinlich würde er ihn gleichzeitig mit seiner Liebe gestehen, und dann würde Nica ihn sicherlich nie wieder ansehen. Also lächelte er Anula nur an und sagte: »Das ist schön, nicht?«
Sie forschte in seinen Augen, er sah ihre Unsicherheit, und weil er das nicht ertrug, streichelte er mit seinen Fingern über ihre. Nur ganz leicht, das musste er Nica nicht verraten.
»Ja«, sagte sie ganz leise und wandte ihr Gesicht einfach nicht ab. Wartete sie wirklich darauf, geküsst zu werden? Oder weshalb sah sie ihn so an?
Da galoppierten plötzlich Pferde in den Hof, Stimmen riefen, und ihr schien wieder einzufallen, dass es heller Nachmittag war und sie mit einem Fremden hinter dem Stall kauerte, viel zu nah an ihn geschmiegt. Jederzeit konnte jemand vorbeikommen und sie sehen. Rasch löste sie ihre Hände von Ben und stand wieder auf. Sie ging einen Schritt zur Seite, doch den Blick konnte sie nicht von ihm lassen.
Noch ein paar Augenblicke strich Ben mit den Händen über die Schulterknubbel, dann hatte er das Gefühl, dass sich unter den Narben etwas regte, etwas, das tot gewesen schien. Länger durfte Ben nicht warten, wenn er nicht auffallen wollte. Er nahm die Hände behutsam zurück und sah dem Drachen ins Auge. Schilfrücken hörte auf, behaglich zu brummen, doch er sah Ben dankbar an. Kurz hatte Ben sogar den Eindruck, als würde der Drache grinsen, als würde er nicken, während Ben dachte: Wart’s ab, wir holen dich hier raus.
»Ich sollte wieder arbeiten«, sagte Anula nicht ganz so bestimmt, wie sie sicherlich gewollt hatte.
»Dann gehe ich besser mal.«
»Ich bringe dich noch zum Tor.«
Ben nickte, er wollte etwas Fröhliches sagen, doch ihm fiel nichts ein. Ihr Blick von vorhin hatte ihn durcheinandergebracht. Anscheinend mochte sie ihn wirklich, und er benutzte sie nur, um den Drachen zu befreien. Schilfrücken zu befreien war wichtig, sagte er sich, doch er konnte ihr trotzdem nicht in die Augen sehen. Schweigend gingen sie weiter. Die eben angekommenen Reiter waren in einem der Gebäude verschwunden, drei schweißnasse Pferde waren an den Balken im vorderen Hof gebunden und soffen gierig aus großen Wassereimern.
»Bist du noch länger in der Stadt?«, fragte Anula, als sie das Tor fast erreicht hatten. Es klang beiläufig, doch biss sie sich dabei auf die Unterlippe, und ihre Augen verrieten, dass es ihr wichtig war.
»Ich weiß es leider nicht.« Er bemühte sich um ein Lächeln und zwang sich, sie fest anzusehen. »Alles ist möglich, ich bin nicht mein eigener Herr.«
»Wer ist das schon?«
Ein Drache mit Flügeln , dachte Ben. Er zuckte mit den Schultern. »Solange ich noch in Falcenzca bin, kann ich dann hier nach dir fragen?«
»Ja.« Sie strahlte ihn an. »Abends ist die beste Zeit. Tagsüber habe ich selten frei.«
»Abends also, das kann ich mir merken.« Er ging und drehte sich erst nach einer Weile wieder um. Sie stand immer noch am Tor und blickte ihm nach. Zwischen den beiden riesigen, ins Leere starrenden Wachleuten wirkte sie verloren. Er winkte hastig und fühlte sich miserabel.
Ohne auf seine Umgebung zu achten, stapfte er durch die Straßen. Er wusste jetzt, wo der Drache untergebracht war, den sie befreien wollten, er hatte mit seiner Heilung begonnen
und so seine Lebensgeister und Hoffnung auf Freiheit geweckt; alles war viel besser gelaufen als erwartet. Und trotzdem fühlte er sich konfus, nur weil er eine hochnäsige Rinnsteinschnepfe ausgenutzt hatte, die es gar nicht anders verdient hatte. Missmutig kickte er einen Kiesel davon.
Als er
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