Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
zusammen. Noch einmal hauchte er ihren Namen und klammerte sich an die Gitter ihrer Zelle. Sie waren kalt.
Zögernd löste sie den Blick von der Fackel und sah ihn an. »Ben?«
»Ja.«
»Was tust du hier?«
»Ich...«
»Bist du hergekommen, um mich zu retten?«, fragte sie ohne eine sichtbare Regung. Doch in ihrer Stimme lag eine Spur Hoffnung.
»Äh, nein«, sagte Ben vollkommen überrumpelt. Er hatte sie sicher in Falcenzca geglaubt, nicht hier, nicht in diesem Zustand. Sie starrte ihn an, und ihm wurde bewusst, was er eben gesagt hatte. »Das heißt, doch natürlich, natürlich holen wir dich hier heraus. Ich rede Unsinn. Lass mich nur den Schlüssel finden.«
Stumm starrte sie ihn an, und er ließ den Blick durch den Raum schweifen, deutete mit den Händen hilflos hierhin und dorthin. Es war kaum mehr als ein kahler Gang, der von einer Zelle zur nächsten führte. Nirgendwo standen ein Tisch
oder ein Stuhl für eine Wache, und an den Wänden konnte er auch keinen Haken mit Schlüsseln entdecken.
»Weißt du, wo...?«
»Nein.«
»Ich finde den Schlüssel. Und dann hole ich dich hier raus.«
»Geh nicht.« Sie hatte nicht laut gesprochen, doch Ben hatte das Gefühl, dass sie innerlich vor Angst schrie.
»Ich muss.«
»Aber du kommst wieder?«
»Ja. Ja! Natürlich! Ich komme wieder.« Er fasste durch die Gitter, um ihre Hände zu greifen. Sie waren eiskalt, und ihre Kälte stach tief in sein Fleisch. Doch er zwang sich, nicht sofort zurückzuzucken, sondern ihr zärtlich über die Finger zu streichen.
Wieso hatten sie ihr das angetan?
Er wollte nicht darüber nachdenken, ob sie eine Ketzerin war oder gar eine Mörderin oder einfach nur unschuldig gejagt wie er. Er ertrug es nicht, sie so zu sehen. Warum nur konnte er keine Menschen heilen? Warum nur Drachen?
»Was haben sie dir nur angetan...?«, murmelte er und zog nun doch langsam die Hände zurück, bevor sie völlig steif vor Kälte wurden.
»Ein weißer Drache...« Plötzlich huschte ein Schatten über ihr Gesicht. »Aber er sucht dich. Dich.«
»Nicht mehr. Er ist tot. Alle drei sind tot.«
»Gut.« Anula schloss die Augen und atmete tief durch. »Mir ist schrecklich kalt.«
»Ich weiß.«
»Aber du kommst wieder?«
»Ja. Ganz sicher«, versprach er. »Weißt du, wo die Drachenstallungen sind?«
Irritiert schüttelte sie den Kopf. »Ich habe nicht darauf geachtet.« Ihre Stimme klang brüchig. Zum Glück fragte sie nicht, weshalb Ben gerade dort nach dem Schlüssel für ihre Zelle suchen wollte.
»Schon gut.«
»Ben?«
»Ja.«
»Ich habe ihnen nichts gesagt. Gar nichts.«
»Gut.« Ben lächelte, obwohl er nicht wusste, was sie ihm damit mitteilen wollte. Aber es schien ihr wichtig zu sein.
»Wirklich«, beharrte sie.
»Das glaub ich dir.«
»Dann kommst du auch wieder?«
»Ja, ich komme wieder.« Noch immer vollkommen durcheinander löste er sich von ihrer Zelle und stapfte zurück zu Yanko und Nica. Was hatten sie mit Anula gemacht? Sie war so verwirrt und gebrochen. Wut stieg in ihm auf.
Er erinnerte sich, dass sie von dem weißen Drachen wusste, der hinter ihm her war, und dachte daran, wie wichtig es ihr war, nichts gesagt zu haben, und plötzlich verstand er. Sie war hier, weil der Orden ihn suchte, weil der Orden sie nach ihm befragt hatte. Mit einem Mal wurde ihm schlecht. Er presste die Unterarme gegen den Bauch und würgte, erbrach sich aber nicht. Er. Er war schuld, dass Anula hier war. Um ihn drehte sich alles, und er stützte sich an der Wand ab, bevor seine Knie einknickten.
»Ben«, stieß Nica aus.
»Was ist los?«, fragte Yanko, sprang herbei und griff ihm stützend unter den Arm. »Bist du in Ordnung?«
Ben nickte.
»Aber...?«
»Anula«, stammelte er und atmete tief durch. Nein, nicht er hatte ihr das angetan, sondern der Orden. Dieser verfluchte Abt. Verworren und mit vor Zorn zitternder Stimme erklärte er den beiden, dass sie nicht mehr nur einen Drachen befreien mussten. »Und wenn wir auf den Abt treffen, schlag ich ihn tot.«
Yanko starrte ihn schweigend an, legte ihm die Hand auf die Schulter und nickte grimmig.
Nica fragte: »Warum holen wir sie nicht sofort dort heraus?«
»Weil wir keinen Schlüssel haben, und ohne macht es zu viel Lärm«, sagte Ben und kämpfte mit den Tränen. »Erst der Drache. Verdammter Schwur. Nie wieder werde ich schwören. Egal, was.«
Er wandte sich ab und stapfte den Gang entlang zur Treppe nach oben. Er fühlte keine Angst mehr vor einer Entdeckung, nur noch
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