Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
der Tiere zu hören, kein Mensch schien sich mitten in der Nacht bei ihnen aufzuhalten.
Neugierig durchstöberte Yanko jeden der hohen Spinde und roch an dem Fleisch. Zwei schöne rote Äpfel aus einer Holzkiste steckte er sich in die Hosentasche, und dann entdeckte er den verzierten Sattel des Abts. Zumindest standen der Name Morlan und sein Titel in verschlungenen Buchstaben über dem polierten Holzbügel, auf dem er ruhte. Der verdammte Abt, dem Ben vorhin den Tod gewünscht hatte. So weit würden sie mit ihrer Rache wohl nicht gehen können, ohne erwischt und hingerichtet zu werden. Aber irgendetwas musste er mit dem Sattel doch anstellen können.
Vielleicht sollte er ihn mit Pferdedung einreiben? Oder noch besser mit Drachenkot? Drachenkot, in den er rostige Nägel rührte. Unentschlossen sah er sich nach Schaufel und Eimer um. Dabei wanderte sein Blick zum kleinen Fenster hinüber und hinaus auf den gedrungenen Rundturm, in dem sie weitere weiße Drachen vermuteten. Drachen, die nach ihrem Geruchssinn jagten.
»Ha!« Das war es! Dass sich der Abt in die stinkenden Ausscheidungen irgendeiner Kreatur setzte, war ein Streich für kleine Jungen. Aber er war kein kleiner Junge mehr, und es gab etwas viel Besseres: Er konnte den Abt mit seinen eigenen Waffen schlagen. Sollte er doch einmal sehen, wie es war, gehetzt zu werden.
Von wilder Begeisterung gepackt, griff er nach den Ecken der sonnengelben Decke, die unter dem Sattel lag, und schlug sie um ihn. Oben verschnürte er das Bündel mit einem Strick. Dabei achtete er sorgsam darauf, nicht das Leder zu berühren.
Dann schulterte er das schwere Bündel und schlich sich durch den Pferdestall hinaus. Von dort war es nicht weit bis zum Rundturm, und auf diesem hielt kein einziger Schemen Wache.
Als er an dem dunklen Haus mit den kleinen Fenstern neben dem Stall vorbeischlich, knirschte ein berstendes Schneckenhaus unter seinen Füßen. Ein fetter Vogel lauerte auf dem Giebel und krächzte, wohl eine Eule. Yanko bog in eine schmale Gasse zwischen dem länglichen Haus mit den kleinen Fenstern und einem Schuppen aus rauem schwarzen Holz am Rand des klösterlichen Kräutergartens. Das Gewicht des Sattels drückte ihn nieder, doch er war von seiner Idee noch immer derart berauscht, dass er am liebsten freudig gepfiffen hätte. Natürlich tat er es nicht.
Und dann hörte er die Schritte. Eilige Schritte und murmelnde Stimmen, die ihm entgegenkamen. Ohne nachzudenken, warf er sein Bündel über den bewachsenen Zaun zum Kräutergarten und sprang selbst hinüber. Er tauchte zwischen zwei Beerensträucher und hielt die Luft an. Kleine Dornen kratzten über seine bloße Haut, doch er gab keinen Schrei und keinen Fluch von sich.
Die Schritte verharrten.
»Schtt«, zischte eine Stimme. »Hast du das gehört?«
»Was?«, flüsterte eine andere.
»Schtt.« Sie schwiegen und schienen zu lauschen. Angst raste durch Yankos Adern. Wieso war er nur auf diesen idiotischen Gedanken gekommen, einen Sattel quer durch das Kloster zu schleppen? Wieso hatte er keinem Bescheid gegeben? Die Luft wurde ihm langsam knapp, und er atmete ganz langsam aus, sog ebenso langsam neue Luft ein.
»Da ist nichts«, flüsterte die zweite Stimme, Yanko kam sie jung vor. Als wäre der Sprecher kaum älter als er selbst.
»Aber ich habe es rascheln hören. Und einen dumpfen Schlag.« Auch diese Stimme war jung.
»Vielleicht ein Tier, das einen Sack Samen umgeworfen hat und dann durch den Garten verschwunden ist.«
»Und wenn es ein Ritter war?«
»War es nicht.«
Zwei Stimmen hatte Yanko bislang unterscheiden können, und es klang, als wollten sie ein Zusammentreffen mit einem Ritter vermeiden. Das konnten keine Wächter sein. Waren es andere Eindringlinge? Ein wenig beruhigte sich seine Angst, doch auch ihnen wollte er nicht in die Hände fallen.
»Woher willst du das wissen?«
»Ich weiß es nicht. Hauptsache, der Abt erwischt uns nicht, und auch der Griesgram von Küchenmeister nicht. Die meisten Ritter verstehen das, sie haben selbst eine solche Mutprobe bestanden.«
Mutprobe? Ganz langsam drehte Yanko den Kopf, so dass er zwischen den Ästen auf den schmalen Weg hinausschielen konnte. Doch er sah nichts als die dunkle Hauswand.
»Meinst du?«
»Klar. Komm weiter.«
Sie setzten sich wieder in Bewegung. Yanko konnte nun undeutlich zwei schlanke Gestalten erkennen, die an seinem Versteck vorüberhuschten. Sie schienen splitternackt zu sein, beide trugen einen Dreschflegel über der
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