Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
Schulter. Beim besten Willen konnte er sich nicht vorstellen, was das für eine Mutprobe sein sollte. Doch er verstand gut, dass man so nicht erwischt werden wollte. Nackt in einem Kloster, das setzte wohl Hiebe.
Yanko blieb liegen, bis die Schritte lange verklungen waren. Kurz dachte er daran, den Sattel einfach liegen zu lassen und den Plan zu verwerfen, aber Ben hatte sich Rache an dem Abt gewünscht, und besser konnte man sich kaum rächen. Er würde jetzt nicht kneifen, er war kein Feigling.
Langsam richtete er sich auf und hob den Sattel über den Zaun. Dann kletterte er selbst hinterher und folgte dem Weg weiter Richtung Rundturm. Dabei sah er sich immer wieder um, mühte sich, nicht das geringste Geräusch zu machen, und lauschte auf alles. Doch er traf kein zweites Mal auf die beiden Nackten und auch auf sonst niemanden. Ohne sich noch einmal ins Gebüsch werfen zu müssen, erreichte er den Rundturm.
Schon bei den letzten Schritten überlief ihn ein Schauer. Die Luft wurde merklich kühler, und er schien Winter einzuatmen. Langsam umrundete er den Turm bis zu einem breiten Gittertor voller Reif, das in eine Mauer aus Granit eingelassen war.
An der Rückwand des bestimmt zwanzig Schritt durchmessenden Zwingers lag tatsächlich ein ausgestreckter weißer Drache. Zitternd kniete sich Yanko auf den eisig harten Boden und wickelte den Sattel aus, noch immer vorsichtig darauf bedacht, ihn auf keinen Fall zu berühren. Dann schlug er die Decke um seine Hände, ergriff mit ihnen umständlich den Sattel und versuchte, ihn zwischen zwei Gitterstangen hindurchzuquetschen.
Der Drache hob den Kopf und stierte ihn mit Augen an, die selbst in der Dunkelheit rot zu glimmen schienen. Aufreizend langsam erhob er sich, jeder seiner Schritte knirschte, als laufe er über Schnee.
Der Fuß, mit dem Yanko in das Eis des weißen Drachen
getreten war, begann furchtbar zu jucken. Schmerz wie von hundert kleinen Nadeln stach in seine Zehen, wanderte bis über den Knöchel hinauf und wurde zu einem dumpfen Pochen. Er unterdrückte den Drang, sich zu kratzen und zu wärmen. Angst stieg in ihm auf, er wollte nicht, dass ihm der Drache zu nahe kam. Was würde dann mit seinem Fuß geschehen? Die Bestie kam nicht durch die Gitter hindurch, doch ihr Hauch und ihre Kälte schon.
Hektisch drückte er mit aller Gewalt weiter gegen den Sattel, der sich mit dem Knauf irgendwie verhakt oder festgeklemmt hatte. Geh durch! Keuchend schlug er mit beiden Händen gegen den Sattel, und mit einem Knirschen rutschte dieser ganz hindurch. Auf der Stelle sprang Yanko zurück, um Abstand zwischen sich und den eisigen Drachen zu bringen, die Decke noch immer in den Händen.
Dumpf prallte der Sattel auf den Boden.
»Such«, murmelte Yanko. »Such den Abt, der genauso stinkt. Der bestimmt schon hundertmal auf diesen Sattel gefurzt hat.«
Prüfend schnupperte der Drache an dem Leder, ohne Yanko aus den unbewegten roten Augen zu lassen. Kalte Luft stieg aus seinen Nüstern. Mit gefletschten Zähnen zuckte er zurück und knurrte leise.
»Ja, genau, den sollst du jagen und in tausend Stücke beißen. Oder ihn zu einem hässlichen Eisklotz frieren und dann in tausend Stücke zerschmettern«, sagte Yanko. Und fügte in Gedanken hinzu: Ich hoffe, der Sattel stinkt in deiner angeblich so empfindsamem Schnauze fürchterlich. Jeder einzelne Abtfurz soll sich dortfestbrennen und so stechen wie die Kälte in meinem Fuß.
Gierig starrte der Drache ihn an.
Yanko wagte es nicht, näher an ihn heranzutreten, und
schon gar nicht wagte er es, das Gitter des Zwingers zu öff nen, um den Drachen loszulassen. Was, wenn doch ein wenig von seinem Geruch auf den Sattel gelangt war?
»Nicht mich sollst du jagen. Ihn«, flüsterte er und deutete auf den Sattel.
Der Drache fletschte die langen krummen Zähne und stierte weiterhin Yanko an. Eisige Kälte schwappte aus dem Zwinger, die Luft schien noch kälter zu werden. Yanko sah seinen Atem aufsteigen wie im Winter. Hoffentlich hatte er keine Dummheit begangen. Hoffentlich hatte der Drache wirklich nicht seinen Geruch in der Nase.
Ach was, beruhigte er sich. Er hatte aufgepasst. Dennoch würde er den Drachen jetzt sicher nicht freilassen. Aber auch der Orden würde das nicht tun, stellte er mit grimmiger Genugtuung fest. Er konnte förmlich vor sich sehen, wie ein einfacher Stallbursche am Morgen den Sattel entdecken würde, wie er alles fallen ließ und den Abt und andere Ritter herbeischrie. Wie sie ratlos und fluchend
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