Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
schwarzen Schuppen waren nachts eine großartige Tarnung. Noch zwei Höfe weiter, und sie hätten den Eingang in die rettende Tiefe erreicht. Dort waren sie sicher. Dort wartete Anula auf ihre Befreiung. Dort würde alles...
»He, ihr! Was macht ihr da?«, drang eine Stimme zu ihnen herunter.
Ben sah auf und erkannte die Schemen zweier mächtiger Gestalten auf der Mauer, von denen sich einer zu ihnen heruntergebeugt hatte. Ihre Kettenrüstung schimmerte im Sternenlicht, mehr war kaum zu erkennen. Zwei wachende Ritter, und sie hatten sie erwischt!
Nein, dachte Ben, einfach nur: Nein. Tiefe Resignation erfasste ihn, und das konzentrierte Heilen hatte ihn so viel Kraft gekostet, dass er ihr nichts entgegenzusetzen hatte. Sie würden gehenkt werden, davor gefoltert und in einem Käfig zur Schau gestellt, bespuckt und mit Obst beworfen, und Anula
würde vergeblich auf ihre Befreiung warten. Das war das Ende. So knapp vor dem Ziel, so furchtbar knapp. Sie konnten nur rennen und verzweifelt hoffen, dass wenigstens einer entkommen würde. Und die Drachen zu Hilfe holen oder mit ihnen fliehen.
Noch während Ben erstarrt und mit hängenden Schultern dastand und all diese Gedanken über ihm zusammenschwappten, schlug Yanko die Handflächen flehend vor der Brust zusammen und sah hinauf. Jämmerlich rief er: »Bitte. Bitte verratet uns nicht. Wenn uns der Griesgram von Küchenmeister bei der kleinen Mutprobe erwischt, zieht er uns die Ohren so lang, dass wir damit den Boden wischen können, ohne uns zu bücken. Bitte.«
Der Wächter lachte lauthals los. »Noch mehr Knappen, köstlich. Furchtsame noch dazu, und das während einer Mutprobe. Was für ein Spaß! Aber wenn ihr schon Angst vor Tazies habt, dann lasst euch besser nicht vom Abt erwischen.«
Sein Kamerad legte ihm die Hand auf die Schulter und griente. »Hört auf ihn. Er weiß, wovon er spricht. Sein verunglückter Tauchgang ist noch immer legendär.«
»Ach, lass die Armen doch damit in Ruhe.« Der Erste winkte ab. »Geht einfach weiter und tut, was ihr tun müsst. Wenigstens habt ihr genug Anstand, nicht nackt herumzurennen.«
Ohne zu verstehen, was da eben passiert war, wie Yanko das gemacht hatte, stapfte Ben weiter. Zitternd und auf Beinen, die derart schwach waren, dass sie ihn eigentlich nicht mehr hätten tragen dürfen. Nur nicht nachdenken, einfach weitergehen, bevor sie es sich vielleicht noch anders überlegten. Doch kein weiterer Schrei verlangte, sie sollen anhalten.
Yanko tauchte als Erster in den schmalen Eingang zum
Verlies, dann Nica und schließlich Ben. Der Drache zögerte. Den Kopf bekam er durch die Tür, doch mit den beiden Vorderbeinen blieb er an der Öffnung hängen. Misstrauisch starrte er Ben an.
»Komm schon. Nimm sie ganz nah an deinen Körper.« Ben zog die Schultern hoch und sog die Luft ein, um es zu zeigen. »Der Gang ist breiter als die Laibung. Die Treppe wird dann noch mal ein Stück enger, aber du schaffst es. Wenn du hier oben hindurchpasst, kommst du auch unten hinaus in die Freiheit.«
Der Drache blickte ihn an und knurrte.
»Ich versprech es dir, du wirst nicht stecken bleiben. Und draußen gebe ich dir deine Flügel zurück. Du wirst wieder fliegen.«
Noch immer knurrend, zwängte sich der Drache herein. Erst das eine Bein, dann das andere. Schuppen schabten über den weißen Stein, aber er schaffte es. Auch die Hinterbeine konnte er mit großer Mühe durch die Tür quetschen, dabei knirschte er jedoch mit den Zähnen, und seine Augen blitzten zornig. Ben wollte gar nicht darüber nachdenken, wie der Drache reagieren würde, wenn er doch nicht durch das untere Gitter passen sollte. Ach was, dachte er. Das könnte er mühelos aus dem Fels brechen. Und dort unten hörte sie niemand.
Sie führten den Drachen zu Anulas Zelle, und Anula starrte sie an.
»Du bist gekommen«, sagte sie zu Ben, doch ihr Blick wanderte immer wieder über seine Schulter. »Du bist wirklich gekommen.«
»Ich hab es doch versprochen.«
»Hast du den Schlüssel?«
Lächelnd deutete Ben auf den Drachen hinter sich. Dann
sagte er zu ihm: »Das ist das Gitter. Kannst du bitte möglichst leise sein, wenn du es öffnest?«
Der Drache nickte. Er schob sich bis an die Zelle heran und legte vier Krallen ganz sanft auf die Gitterstäbe. Langsam bog er die Stangen rechts und links des Schlosses auseinander. Noch bevor die Stangen krachend barsten, sprang es mit einem hellen Klicken auf. Quietschend schwang die Tür in den Raum. Ben fiel dem Drachen
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