Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
richtig verbannen, nur ein Stück weit ins Landesinnere, so dass sie zwei Tage zum Zurücklaufen benötigen. Bis dahin sind wir Weit weg.«
Also packten die Drachen den Käfigwagen mitsamt den Gefangenen und erhoben sich unter allerlei launigen Kommentaren über das fröhliche Verteilen von Menschen überall im Großtirdischen Reich in die Luft und lachten darüber, eine Stadt in alle Winde zu zerstreuen. Als sie in der Ferne verschwanden, nahm Yanko Nica in den Arm und küsste sie.
Ohne die Drachen hatte er nicht mehr das Gefühl, beobachtet zu werden. Er klammerte sich fest an sie, die Einzige, die ihm noch geblieben war. Sie pressten sich aneinander, als könnten sie so das Gefühl der Einsamkeit aus sich herausquetschen.
Irgendwann wurde es kühl, während sie nackt auf der Decke neben dem Bach lagen, die erste Vorahnung des Herbstes wehte sanft von den Berggipfeln herab. Doch Yanko wollte sich nicht rühren, um nach seiner Kleidung zu greifen, er wollte Nica auf keinen Fall loslassen, die sich zitternd an seine Schulter gekuschelt hatte.
»Schau mal, die Sterne – wie hell sie heute leuchten«, murmelte er.
»Warum hat Ben uns verlassen?«, fragte Nica leise.
»Weil er den Verstand eines Schlickschlurfers hat«, brummte Yanko und strich ihr übers Haar. »Und ein feiges Hühnerherz.«
»Du meinst wirklich, er ist feige?«
»Nein.« Yanko schnaubte. Natürlich dachte er das nicht, und genau das ärgerte ihn daran. Einem Feigling könnte man ein solch heimliches Davonstehlen ja nachsehen. Aber Ben? »Ich weiß nicht, warum er gegangen ist. Ich verstehe es nicht. Wir waren so lange befreundet, ich hätte nie gedacht, dass er mich mal im Stich lässt. Und dich.«
»Hm.« Gedankenverloren strich Nica ihm über die Brust. Irgendetwas schien sie zu beschäftigen. Mehrmals setzte sie an, als wollte sie etwas sagen, doch kein Wort kam über ihre Lippen.
»Was ist?«, fragte er und küsste sie auf die Stirn. Den Mund erreichte er nicht.
»Nichts.«
»Nichts? Sicher?«
»Ja. Nichts.« Sie seufzte, löste sich und beugte sich auf einen Arm gestützt über ihn. »Aber du wirst mich nicht auch noch verlassen, oder?«
»Nein«, sagte er schnell. Es klang irgendwie seltsam, wie sie das gesagt hatte. Auch. Dachte sie nicht daran, dass er sie im Unterschied zu Ben liebte? »Natürlich nicht. Niemals!«
»Versprichst du es?«
»Ja.« Yanko sah sie ernst an. »Ich werde dich niemals verlassen.«
Ein kurzes Lächeln huschte über ihre Züge. Sie küsste ihn und erhob sich dann. »Mir wird kalt.«
Sie zogen sich an, setzten sich Hand in Hand auf einen Felsen und blickten auf der Suche nach den zurückkehrenden Drachen in den Himmel. Zum ersten Mal seit Ben verschwunden war, hatte Yanko das Gefühl, dass doch noch alles gut werden würde.
»Wir werden ihn bei den Spielen finden«, murmelte er.
»Und ihm die Ohren so lang ziehen, dass man ihn von Weitem für ein riesiges Schlappohrkaninchen auf zwei Beinen hält.«
UNTERWEGS
D er Käfigwagen ruckelte unter der grellen Mittagssonne dahin. Schweiß glänzte im Nacken des glatzköpfigen Hünen auf dem Kutschbock, die Ritter auf den Pferden vor und hinter dem Wagen hatten ihre Helme abgenommen, dennoch klebten ihre Haare auf der Stirn. Die Tiere schnauften schwer in der Hitze.
Im Käfig kauerte Anula. Obwohl sie sich in eine dicke Decke gehüllt hatte, fror sie. Die Sonne konnte die Kälte des weißen Drachen in ihr nicht wärmen.
»Ist schon eine Hübsche«, sagte in dem Moment einer der beiden Ritter, die direkt hinter ihrem Käfig folgten, der mit der kurzen breiten Nase. »Nur schade, dass sie uns immer die kalte Schulter zeigen muss.«
Sein hochgewachsener Kamerad brüllte los vor Lachen und klopfte sich auf den dünnen Oberschenkel. Seit sie Falcenzca verlassen hatten, musste sich Anula zahlreiche Scherze über Kälte und Eis gefallen lassen, mal derb, mal einfach dumm, immer wieder nach demselben Muster. Die wenigsten waren lustig.
Sie solle doch nicht so frostig dreinschauen. Gelächter.
Einer von ihnen verfüge schon über das richtige Werkzeug, um das Eis zu brechen, sie müsse nur darum bitten. Anzügliches Gelächter.
Sie sei schön wie eine Blume... eine Eisblume. Prustendes Gelächter.
Ob sie mit ihrem Finger mal bitte kurz das Wasser kühlen
könne, sie hätten vergessen, einen Eisblock aus einem Gletscher mitzunehmen. Begeistertes Schenkelklopfen.
Ein Wortspiel jagte das nächste, sie wurden der Sache einfach nicht
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