Der Drachenthron: Roman (German Edition)
kleine Diebstähle, bis sie gefasst und an eine Bande Seelenstaub-Schmuggler verkauft wurde. An den Rest erinnerte sie sich nur verschwommen. Sie hatte alles getan, was von ihr verlangt worden war. Einfach alles.
»Was auch immer es kostete, um an mehr Seelenstaub zu kommen«, hauchte sie und verspürte auf einmal ein heftiges Verlangen in sich aufsteigen. Allein an Seelenstaub zu denken, selbst nach all der Zeit … »Und dann hatten sie ebenfalls genug von mir und warfen mich erneut den Schnäppern zum Fraß vor. Oder sie wollten, dass ich erfriere.« Sie lachte verbittert auf. »Schnäpper mögen mich anscheinend nicht besonders. Bin wohl zu mager. Kein echtes Festmahl. Ich dachte schon, Halluzinationen zu haben. Da war auf einmal ein riesiger weißer Drache. Und dann war dort Kailin, der Knappe. Und dann kamst du, und dann ist Kailin, der Knappe, fortgegangen, und ich war immer noch am Leben, und selbst der Seelenstaub ist verschwunden, wenn er denn überhaupt ganz verschwinden kann.«
Und sie hatte überlebt.
Kemirs Brust senkte und hob sich gleichmäßig. Er war eingeschlafen. Nadira rollte sich zur Seite und legte sich neben ihn, betrachtete die Sterne, spürte die Hitze des schlummernden Drachen auf der anderen Seite von ihr. Sie strich mit der Hand über Schneeflockes Schuppen. Sie hätten weglaufen sollen. Das wussten sie beide. Sie hätten verschwinden müssen, als Schneeflocke den Aschgrauen gefunden hatte. Genau in dem Moment, als die Drachen abgelenkt waren, hätten sie es vielleicht geschafft. Doch sie hatten zu lange gezögert. Jetzt würden die Drachen sie nicht mehr ziehen lassen, aber das störte sie nicht. Wenn überhaupt vermittelte es Nadira das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Es gab schlimmere Orte.
Schneeflocke war wohlig warm. Nadira spürte die Entschlossenheit der Drachen, selbst jetzt, im Schlaf. Diese zähe Beharrlichkeit hatte sie am Vortag noch nicht wahrgenommen. Und sie war ansteckend. Auch Nadira wollte etwas tun , wusste jedoch nicht was. Niemals zuvor hatte sie ein Ziel vor Augen gehabt, hatte nie die Zeit für so etwas erübrigen können. Nicht zu sterben, nicht aufgefressen zu werden, nicht zu erfrieren oder vor Erschöpfung umzukommen – das war alles gewesen, worum sich ihre Gedanken gedreht hatten. Plötzlich musste sie sich über solche Dinge keine Sorgen mehr machen.
Kemir hatte ein Ziel. Die Drachen hatten ein Ziel.
Nadira hatte den ganzen langen Tag darüber nachgegrübelt, während die Berge immer höher und steiler, zerklüfteter und rauer geworden waren.
»Ich will helfen, die Drachenritter zu töten«, flüsterte sie. Sie wusste nicht, ob ihre Worte für Kemir oder Schneeflocke bestimmt waren, oder ob sie einfach mit dem Wind sprach. »Jeden Einzelnen von ihnen«, fügte sie hinzu. »Ich will sie alle töten.« Sie war von sich selbst überrascht. Dies war kein Ziel, das sie erwartet hatte. Vielleicht war es auch überhaupt nicht ihr Ziel. Vielleicht hatten die Drachen sie beeinflusst, genauso, wie Nadira wütend wurde, wenn sie wütend wurden. Oder Kemirs Rachedurst hatte auf sie abgefärbt. Letztlich spielte es keine Rolle.
Nadira kauerte sich zusammen und schloss die Augen. Sie machte sich klein und kuschelte sich an Schneeflocke. Die Drachen träumten, und durch ihre Träume wusste Nadira genau, was sie schon bald erwarten würde.
Ja. Es gab viel schlimmere Orte.
Teil 4
Das Zurückgeben der Asche
Es gibt einen letzten Preis, den der Drachenreiter zahlen muss. Wenn ein Drache letztlich stirbt, verbrennt er von innen heraus, sodass alles unter seinen Schuppen zu Asche und Staub zerfällt. Nur die Schuppen überdauern. Sie sind leicht und stabil, und weder Feuer noch Hitze können ihnen etwas anhaben. Deshalb benutzt man sie gerne für Rüstungen. Wenn ein Drache verstirbt und nur die Schuppen übrig bleiben, muss der Reiter sie aufsammeln und zurück zum Nest des Drachenkönigs bringen, von dem das Tier stammt. Somit kehrt der Drache zu seinem Geburtsort zurück. Allein aus der Asche, sagen die Alchemisten, kann ein neuer Drache geboren werden.
52
Die Alchemisten
J aslyn war schon einmal bei den Alchemisten gewesen. Damals war sie dreizehn. Lystra war elf, Almiri sechzehn Jahre alt und sollte schon kurz darauf mit König Valgar verheiratet werden. Sie waren mit ihrer Mutter und Lady Nastria auf dem Rücken zweier Drachen gekommen, die beide inzwischen längst verstorben waren. Jaslyn rief sich große, dunkle Höhlen, runzlige
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