Der Drachenthron: Roman (German Edition)
alte Männer und feuchte Steinwände in Erinnerung, ebenso wie eine unerträgliche Almiri. Ihre Mutter hatte sie durch endlose Tunnel zu einem Ort geführt, der nie die Sonne gesehen hatte und lediglich von einigen wenigen Laternen erleuchtet wurde. Das Brausen eines unterirdischen Flusses hatte sie überallhin begleitet. Dann waren sie in eine riesige Höhle getreten, und ihre Mutter hatte sie auf die purpurfarbenen Flecken an den Wänden aufmerksam gemacht.
»Daher rührt unsere Macht«, hatte sie gesagt. »Von diesen winzigen Pflanzen. Die Alchemisten brauen aus ihnen die Elixiere, und die Knappen geben sie unseren Drachen. Die Drachen sind uns untertan und gehorchen unseren Befehlen. Ohne diese Pflanzen sind wir schwach. Behaltet das im Gedächtnis – immer.«
Jaslyn hatte jede einzelne Minute, die sie dort verbringen musste, gehasst, aber am meisten hatte sie der Gedanke gestört, dass ihre Drachen ihr nur aufgrund irgendeiner kleinen Pflanze gehorchten. Sie sollten es ihretwegen tun. Weil sie sie liebten .
Heute war sie älter und klüger, doch das Gefühl von damals war nicht verschwunden und traf sie wie ein Schlag in die Magengrube, sobald sie gelandet war. Ich hasse diesen Ort . Sie blickte zitternd zu den Höhleneingängen und war geradezu erleichtert, als Keitos sie stattdessen durch das Durcheinander aus Steinhäusern führte. Er verbeugte sich und nickte und murmelte Plattitüden, die Jaslyn nicht wirklich verstand, und brachte sie zu einer armseligen, kleinen Hütte, in der ein alter Mann auf einer Bank saß und durch ein Stück Buntglas ein Blatt betrachtete. Sie blieben am Türrahmen stehen und warteten, doch der Greis schien sie nicht zu bemerken, sondern sah wie gebannt auf das Blatt. Er war leichenblass, und nur ein paar weiße Haarbüschel bedeckten seinen Schädel.
Schließlich räusperte sich Keitos.
»Ich weiß, dass Ihr hier seid, Meister Keitos.« Der alte Mann sah nicht auf. »Ich weiß auch, dass Besucher bei Euch sind. Drei Drachenreiter. Ich habe gespürt, wie sie gelandet sind. Wer auch immer Ihr seid, Ihr werdet Euch noch ein wenig gedulden müssen.«
»Das ist Prinzessin Jaslyn, Meister Feronos, die Tochter von Königin Shezira, unserer nächsten Sprecherin. Die bald unsere Herrin sein wird. Reiter Semian hat sie begleitet, der ebenfalls in Königin Sheziras Diensten steht.« Jostan war im Drachennest zurückgeblieben, um dafür zu sorgen, dass man sich gut um die Tiere kümmerte.
Der alte Mann seufzte. Er starrte noch einige Sekunden auf das Blatt, legte es dann weg und sah seine Besucher an. »Prinzessin Jaslyn. Ja. Ihr seid schon einmal mit Eurer Mutter hier gewesen. Vor fünf Jahren, im Winter, als wir alle im Schnee versanken. Ja, ja. Ich erinnere mich.« Er stand nicht auf oder verbeugte sich oder zollte ihr irgendeine Art von Respekt. Jaslyn war ein solches Verhalten nicht gewohnt. »Solltet Ihr nicht im Palast sein?«
Jaslyn starrte ihn verwundert an.
»Meister Feronos ist der Weiseste von uns allen, was die Kunde von Steinen und Metallen betrifft«, sagte Keitos nervös und schlurfte in den Raum. »Ihre Hoheit hat etwas mitgebracht, das sie vor ein Rätsel stellt, Meister. Eine Flüssigkeit, die Metall gleicht.«
»Eine Flüssigkeit, die Metall gleicht , oder eine Flüssigkeit, die Metall ist ?«
»Prinz Jehal vergiftet damit womöglich Sprecher Hyram oder König Tyan. Vielleicht sogar beide. Und jemand wollte es benutzen, um meine Mutter zu vergiften«, fauchte Jaslyn. Sie stieß Keitos beiseite und streckte dem uralten Alchemisten den Tontopf hin, der immer noch mit Wachs versiegelt war.
Eine knotige, zitternde Hand nahm ihn entgegen. Feronos hatte nicht damit gerechnet, wie schwer das Gefäß war. Es glitt ihm aus den Fingern, und Jaslyn fing es in letzter Sekunde auf, bevor es auf dem Boden zerschmetterte.
»Ahhh.« Der alte Mann nickte. »Das kenne ich. Auch wenn ich es vor sehr, sehr langer Zeit das letzte Mal gesehen habe. Es überrascht mich nicht, dass Ihr nicht wisst, was das hier ist. Nicht viele könnten es Euch sagen. Ihr müsstet mein betagtes Alter haben, um Euch daran zu erinnern.«
»Ihr habt es noch nicht einmal geöffnet, alter Mann.« Jaslyn ballte die Hände zu Fäusten. »Wie könnt Ihr wissen, worum es sich handelt, wo Ihr es doch nicht geöffnet habt?«
Schweigend stellte Feronos den Tontopf auf den Tisch und brach das Siegel. Sehr vorsichtig öffnete er das Gefäß. »Ein Metall, das silbrig glänzt und eine wasserähnliche Struktur
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