Der Drachenthron: Roman (German Edition)
Viele. Viele sind entkommen. Viele sind noch am Leben.
Sie müssen alle verbrennen . Der Erdboden erzitterte, als der Aschgraue vom Nest aus zu ihnen stürmte. Die beiden Drachen untersuchten alle Höhlen und räucherten dann eine nach der anderen aus.
Sie sind immer noch hier. Ich kann sie spüren . Der Aschgraue scharrte über den Boden. Lass sie unser Feuer schmecken!
Ich kann sie nicht erreichen.
Dann werden wir warten, und früher oder später verhungern sie.
»Lass mich runter! Ich gehe rein und hol sie für euch raus.« Das Letzte, was Kemir von den drei Reitern mitbekommen hatte, war, wie sie zu der Höhle gerannt waren, die dem Drachennest am nächsten gelegen war. Er hatte ihre Leichen nicht entdeckt, was bedeutete, dass sie sie erreicht hatten. Das oder der Aschgraue hatte sie gefressen.
Schneeflocke stampfte frustriert auf. Schließlich ließ sie sich auf alle viere fallen, und Kemir glitt an ihr hinab. Nadira blieb auf dem Drachen sitzen und warf dem Söldner einen finsteren Blick zu, als missbilligte sie seinen Vorschlag. Er beachtete sie nicht weiter und rannte zu der Höhle, in der er die Reiter vermutete. Doch dann zögerte er. Drei gegen einen. Klang nicht gerade vielversprechend.
Er kroch langsam hinein. Draußen erreichte die Sonne den felsigen Grund nur, wenn sie im Zenit stand. In der Höhle selbst wurde es sehr schnell sehr dunkel. Kemir berührte die Wände und tastete sich vorwärts. Sie waren warm und trocken von Schneeflockes Atem, was ihm verriet, wie weit ihr Feuer vorgedrungen war. So wie es auch den Menschen hier drinnen als Anhaltspunkt dienen würde. Sie wüssten genau, ab welchem Punkt sie in Sicherheit waren.
Nach etwa dreißig Metern verengte sich der Gang und wurde zu schmal für einen Drachen. Nach weiteren dreißig Metern waren die Wände nicht mehr warm. Alles war pechschwarz, abgesehen von dem kleinen Kreis Tageslicht hinter ihm, doch sobald Kemir die Augen zusammenkniff, konnte er in weiter Ferne Lichter erkennen, matte, weiße Lichtpunkte von der Größe von Stecknadelköpfen, die mehr wie Sterne und nicht so sehr wie Lampen oder Fackeln aussahen. Kemir bewegte sich vorsichtig, suchte bei jedem Schritt mit der Fußspitze nach sicherem Halt, schlich lautlos weiter. Die Stecknadelköpfe wurden heller. Es waren Lichter, einwandfrei Lichter. Er fragte sich verwundert, wie viele andere Menschen in der Höhle versteckt waren.
In dem Lichtkegel, der ihm am nächsten war, erhaschte er einen undeutlichen Blick auf ein Gesicht. Kemir hob den Bogen, doch die Gestalt trug keine Drachenritterrüstung. Im nächsten Moment verschwand das Gesicht wieder. Das Licht huschte hüpfend weiter.
Kemir ging nun schneller, schob sich leise durch die Dunkelheit zum Licht. Wem auch immer er folgte, der – jenige blieb beim nächsten Licht stehen und nahm dieses mit. Und das nächste und das übernächste. Kemir war nun nah genug herangekommen um zu erkennen, dass die Lichter kleinen Laternen glichen, wobei ihre Flammen jedoch von einem kalten Weiß waren. Außerdem roch er weder Rauch noch Öl. Der Mann, der sie trug, war kein Soldat und schien unbewaffnet zu sein. Kemir zog ein Messer und sprintete die letzten Meter, die noch zwischen ihnen lagen. Der Mann hörte ihn erst im letzten Moment und drehte sich gerade um, als Kemir sich auf ihn stürzte. Die beiden gingen zu Boden, und die Lampen flogen in hohem Bogen durch die Luft. Blitzschnell drückte Kemir dem Mann das Messer an die Kehle.
»Bitte, bitte, bitte …« Der Mann weinte vor Angst. Ein unguter, stechender Geruch breitete sich aus.
»Drei Drachenritter sind hier entlanggekommen, nicht wahr?«
»Ja. Ja. Aber ich weiß nicht, wer sie sind. Bitte, bitte, töte mich nicht.«
»Wohin sind sie gegangen?«
»Das weiß ich nicht.« Kemir drückte ihm das Messer fester an die Kehle. Der Mann kreischte auf. »Tiefer! Ich weiß es nicht. Ins Torhaus.«
»Ins Torhaus?« Kemir spürte, wie sich eine plötzliche Kälte in ihm breitmachte. »Wie viele andere Menschen sind hier unten?«
»Das weiß ich nicht!«
»Rate!«
»Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. Ich bin nur ein einfacher Diener. Bitte …«
»Einer? Zwei? Zehn? Hundert?«
»Hundert? Wahrscheinlich mehr. Aber ich weiß es nicht. Bitte.«
Hundert? Kemir riss die Augen auf. Langsam ließ er das Messer sinken. »Soldaten?«
»Ja.«
»Wie viele?«
»Das weiß ich nicht. Eine Hundertschaft? Eine Legion? Ich weiß es nicht!«
Eine Legion? In diesen Höhlen? Das konnte
Weitere Kostenlose Bücher