Der Drachenthron: Roman (German Edition)
nicht wahr sein. Dennoch, selbst ein Dutzend oder nur ein halbes Dutzend würde ausreichen. Kemir packte den Mann am Schlafittchen und riss ihn hoch. »Einer der Drachenritter heißt Reiter Semian. Richte ihm aus, dass Kemir, der Söldner, der für sein kaputtes Bein verantwortlich ist, draußen auf ihn wartet.«
Er ließ den Mann gehen, hob eine der vielen Lampen auf und machte sich auf den Weg zurück zum Höhleneingang. Doch er beeilte sich nicht. Vielmehr war er sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt zurückwollte. Die Neuigkeiten würden den Drachen nicht gefallen. Wenn sie die Menschen hier aushungern wollten, mussten sie sich auf eine lange Wartezeit einstellen. Und bisher hatten sie Kemir nicht gerade mit einer engelsgleichen Geduld beeindruckt.
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Die beiden Sprecher
I n der Mitte des zehneckigen Tisches lagen der Speer und der Ring des Sprechers. Hyram hatte sich schon vor einer geraumen Weile erhoben. Alle anderen beobachteten ihn und warteten insgeheim darauf, dass er sich setzte. Einige Drachenlords sahen gelangweilt aus, manche ungeduldig, und der Rest war einfach verärgert, dass es so lange dauerte. Hyram zitterte an diesem Morgen wieder. Nur ein bisschen, aber Shezira war es nicht entgangen. Entweder ließ die Wirkung der Elixiere nach, die seine Krankheit im Zaum hielten, oder sein Vorrat ging allmählich zu Ende.
Hyram gegenüber saßen der amtierende Großmeister Jeiros und Hohepriester Aruch, an jeder anderen Seite des Tisches ein Drachenkönig oder eine -königin und ein Ritter. Das war alles. Zwei Seiten waren leer. Die Syuss hatten wenige Drachen und waren bloß der Höflichkeit halber zum Palast geladen worden, und der König der Felsen hatte sich seit über einer Generation äußerst rar gemacht.
Wie gebannt starrte Shezira den Ring an. Sie konnte einfach nicht anders. Dann also wir sieben . Ihre Hände umkrallten die Tischplatte. Seit zehn Jahren wartete sie auf diesen einen Tag. Sie hatte alles richtig gemacht. Selbst diese lächerliche Angelegenheit mit Königin Zafir schien nichts weiter als eine letzte Prüfung zu sein, um herauszufinden, ob sie sich des Ringes als würdig erwies. Hier am Tisch, während sie die Augen nicht von dem Kleinod lösen konnte, konnte sie sich beinahe einreden, dass Hyram sie nur testete, nichts weiter, dass Zafir überhaupt nicht existierte.
Schließlich nahm Hyram Platz. Jeiros erhob sich und hielt eine Rede. Aruch folgte seinem Beispiel. Es waren genau dieselben Ansprachen, die alle zehn Jahre gehalten wurden. Jeiros predigte von der Verantwortung und der Last der Aufgabe. Shezira kannte die Worte in- und auswendig, doch jetzt, wo sie für sie bestimmt waren, saugte sie jedes einzelne in sich auf. Als vor zehn Jahren Hyram an ihrer Stelle gewesen war, hatte sie sie einfach nur langweilig gefunden. Dieses Mal verursachten sie bei ihr eine Gänsehaut. Während Aruch von Demut und der Gnade des Drachengotts sprach, rollte sie im Gegensatz zu Jeiros, der neben ihr saß, nicht mit den Augen, sondern fragte sich verwundert: Ist es wahr? Könnten es die Priester sein, die die Drachen in Schach halten? Schlagen die Elixiere nur an, weil die Priester es so wollen? Törichte Gedanken, die sie an jedem anderen Tag milde belächelt hätte, erschienen ihr auf einmal tiefsinnig.
Sie zwickte sich in den Arm. Du bist die Königin des Sandes und Steins, die Königin des Nordens, keine einfältige Prinzessin, die zum ersten Mal ihren Drachen erblickt.
Als Hyram erneut an der Reihe war, sprach er über alles, was er in seiner Amtszeit im Palast vollbracht hatte. Er redete von Frieden und Wohlstand, von der unübertrefflichen Stärke der Adamantinischen Garde, vom unschätzbaren Wert der Kontinuität. Dann bestimmte er mit derselben Stimme, mit der er eine Bestandsübersicht des Waffenarsenals der Garde gegeben hatte, Königin Zafir als seine Nachfolgerin, und setzte sich. Shezira brauchte einen langen Moment, um zu begreifen, was er gerade gesagt hatte, dass er es tatsächlich getan, ihren Pakt gebrochen hatte, dass das alles doch kein Test war.
Sirion steht hinter mir. Ebenso wie Valgar. Und Jehal und König Narghon. Und auch Silvallan wird für mich stimmen, sobald er einsieht, dass Zafirs Anliegen hoffnungslos ist . Die Stille zog sich eine Sekunde hin, dann noch eine. Jeder Blick war auf sie gerichtet. Hyrams Mund stand einen Spalt offen. Seine Augen leuchteten vor banger Erwartung. Mit einem Schlag erkannte Shezira, dass sie immer noch nichts gesagt
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