Der Drachenthron: Roman (German Edition)
wähle Königin Zafir.«
Shezira zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sie konnte es nicht. Jehals Worte hatten sie von innen heraus erstarren lassen. Sie hörte, wie König Silvallan für Zafir stimmte, ebenso wie König Narghon, doch das alles schien so weit weg zu sein, dass Shezira sie kaum verstand. Sie konnte nicht denken. Für einen Moment schien die Welt völlig zu verschwinden, und als sie schließlich wieder zurückkehrte, hatte Jeiros seine Rede schon fast beendet. Er hatte die zweite Schriftrolle geöffnet, und Zafir war die neue Sprecherin der Reiche.
56
Ungeschehen
A ls Jeiros geendet hatte, nahm er den Ring von der Mitte des Tisches, verbeugte sich vor Zafir und steckte ihn ihr an den Finger. Der Reihe nach knieten sich die Monarchen vor ihr nieder und küssten den Ring.
Nastria beobachtete, wie ihre Königin einen Kniefall machte und den Ring ebenfalls küsste. Besonnen und würdevoll, genau wie eine Königin sein sollte. Es war das Beeindruckendste, was sie je gesehen hatte. Selbst in der Niederlage einen solchen Edelmut zu beweisen.
Edler, als sie je sein könnte.
Jemand würde dafür bezahlen müssen, entschied sie. Welchen Befehl auch immer Königin Shezira ihr auftragen würde, jemand würde dafür bezahlen. Wäre sie ein Mann und besäße die Kraft eines Mannes, hätte sie Prinz Jehal womöglich auf der Stelle mit bloßen Händen zu töten versucht. Wie die Sache jedoch lag, würde sie wohl einen subtileren Weg wählen müssen.
Für den Bruchteil einer Sekunde fragte sie sich, ob das Zerwürfnis zwischen Jehal und Hyram tatsächlich bestanden oder ob es sich bloß um eine ausgefeilte Farce gehandelt hatte, die allein für diesen einen Augenblick des Verrats aufgeführt worden war. Schwer vorstellbar, aber sobald Hyram in der Nähe war, schwebte stets König Antros und sein unglückseliges Hinscheiden mit im Raum. Steckte das etwa dahinter? Hatte er deshalb den Pakt zwischen ihren Clans gebrochen?
In den endlosen Stunden, die nun folgten, ließ sich Königin Shezira nichts anmerken. Nastria wollte die Königin beiseitenehmen und ihr ins Ohr flüstern: Es kann ungeschehen gemacht werden. Zafir wurde gewählt, aber noch nicht gekrönt! Bevor ihr Hohepriester Aruch in der Glaskathedrale vor allen versammelten Drachenrittern nicht den Adamant – speer überreicht, kann es ungeschehen gemacht werden. Doch für diese Worte bot sich die ganze Zeit über keine Gelegenheit. Sie waren nie allein. Also beobachtete Nastria stattdessen Prinz Jehal und Königin Zafir.
Es gab Wettkämpfe und Aufführungen, eine Darbietung der Tapferkeit und des Könnens der Adamantinischen Garde, ein Reitturnier auf Pferden für die rangniedrigeren Ritter und eines für die Drachenritter, in denen sie ihre Flugkünste unter Beweis stellen konnten. Königin Zafir betrachtete das Schauspiel mit derselben ausdruckslosen Maske, die sie schon in der Halle des Sprechers getragen hatte. Jehal hingegen war aufgedreht, euphorisch, berauscht von seinem Sieg. Die beiden tauschten jedoch keine Blicke aus. Keinen einzigen.
Jaslyn. Prinzessin Jaslyn besaß den Schlüssel. Sobald sie mit dem Fläschchen voll flüssigen Silbers von den Alchemisten zurückgekehrt war. Mit verdammenden Worten, unterschrieben und versiegelt von den Meisteralchemisten der Feste, die es als Gift auswiesen. Immerhin war einer von Jehals Rittern mit Tiachas weggegangen. Sie würde ihn finden und zu Meister Kithyr zerren, und dann würden sie die wahren Abgründe von Jehals Verrat aufdecken. Die Königin würde ihr Glauben schenken müssen, ebenso wie der Rest von ihnen.
Und dann sah sie, wie Jehal Königin Zafir im Vorbeigehen etwas ins Ohr flüsterte. Für einen Sekundenbruchteil bekam Zafirs Maske einen Sprung, und ihre Augen leuchteten wie elektrisiert auf. Im nächsten Moment war alles schon wieder wie weggewischt, und was auch immer Jehal ihr gesagt haben mochte, konnte nicht mehr als ein einziges Wort gewesen sein. Aber Nastria hatte nicht auf seinen Mund geachtet, sondern auf seine Hände. Und während dieses Sekundenbruchteils, im lärmenden Gewühl der Ritter und Lords, war Jehals Hand zu Königin Zafirs Oberschenkel geglitten und hatte einen Augenschlag zu lange dort verweilt. Und durch diese Berührung fiel es Nastria wie Schuppen von den Augen, und sie erkannte, dass Hyram das größte Opfer von ihnen allen war.
Sie grinste. Ihr blieben noch vier Tage bis zur Zeremonie in der Glaskathedrale. Genügend Zeit. Immer noch lächelnd folgte
Weitere Kostenlose Bücher