Der Drachenthron: Roman (German Edition)
Festessen immer früh zu Bett gegangen – es war nur die Frage, in welches Bett. Dieses Mal wankte er jedoch taumelnd die Gänge entlang in Richtung der Glaskathedrale. Shezira folgte ihm hinein, beinahe darauf gefasst, ihn in den Armen einer Drachenpriesterin vorzufinden. Stattdessen lag er ausgestreckt vor dem Altar und betete.
Sie kniete sich neben ihn und sah zu dem Drachengesicht empor, das bedrohlich auf sie herabblickte. Hyram stank nach Wein.
»Ich muss Euch für Eure Gastfreundschaft danken«, sagte sie. Hyram schien sie nicht zu hören. Sie schauderte. Aus irgendeinem Grund war es in der Glaskathedrale immer kalt.
»Dieser O-Ort ist eine Lüge«, sagte Hyram unvermittelt.
»Wie bitte?«
»Die G-Glaskathedrale. Sie ist eine Lüge.« Er wandte den Kopf und sah Shezira an. Sein Gesicht war gerötet, und er stand kurz davor, entweder in schallendes Gelächter oder in Tränen auszubrechen.
»Seid Ihr betrunken?«
»Das Z-Zittern wird dann besser. Drei Flaschen Wein, und ich k-kann mir fast einreden, ich sei wieder gesund.«
Shezira hob eine Augenbraue. Hyram schien tatsächlich weniger zu zittern, doch gleichzeitig huschten seine Augen beim Reden unkontrolliert hin und her. »Seid Ihr sicher, dass Euch der Wein nicht nur etwas vorgaukelt?«
»Spielt das denn eine Rolle?«
»Wahrscheinlich nicht.«
Hyram nickte, als sei damit ihr Gespräch beendet. Er drehte den Kopf zum Steindrachen über ihnen, schloss die Augen und seufzte. »Bitte …«
Shezira wand sich nervös. Das hier war nicht der Hyram, den sie kannte, und sie war sich nicht sicher, was sie mit ihm anstellen sollte, außer ihm aufzuhelfen und ihn ins Bett zu bringen.
Er rappelte sich schwankend hoch. Instinktiv streckte sie helfend die Hand aus, doch er wich vor ihr zurück, als habe sie ihm versehentlich eine Schlange gereicht.
»Ich wäre nicht hier, w-wenn mein Bruder … wenn Antros nicht gestorben wäre. Antros hätte dieses Amt bekommen sollen. Ihr und er. E-Er sollte der nächste Sprecher werden, nicht ich. Das war die Abmachung. I-Ich hätte den Thron meines Vaters geerbt, nicht mein Cousin Sirion. Ich wäre zum König gekrönt worden. Eigentlich sollte ich A-Aliphera heiraten. Wusstet Ihr das?«
Aliphera? Shezira packte ein Schauder. Sie hatte nicht den blassesten Schimmer, wovon Hyram da sprach. Ob er es überhaupt selbst wusste? Sie stand auf. »Ihr seid betrunken. Lasst uns morgen früh weiterreden.«
»Es musste einer von uns beiden sein, aber jeder mochte A-Antros lieber, nicht wahr? Abgesehen von Euch. Und Aliphera.« Auf einmal sah er sie wieder an. »Ich habe nie herausfinden können, ob I-Ihr Antros getötet habt, oder ob es tatsächlich ein Unfall war.«
Sie verpasste ihm eine Ohrfeige. Er taumelte rückwärts und ging zu Boden. »Ihr seid zu betrunken, Hyram. Und habt Eure Manieren vergessen.«
Hyram rieb sich das Gesicht und erhob sich schwerfällig. »Auch Ihr mochtet Aliphera.«
»Ich habe sie respektiert.«
»Nun, ich habe sie g-gemocht . Ich hätte sie beinahe geheiratet. Doch dann …« Seine Augen blickten ausdruckslos in die Ferne. Für einen kurzen Moment glaubte Shezira, Hyram würde einfach in ihrer Gegenwart einschlafen. »Sind Dinge passiert. Wir hätten allerdings z-zusammengepasst. Sie war immer die Vernünftigste von dem Pack aus dem Süden. Wenn ich sie geheiratet hätte , hätte ich sie jedoch nach mir zur S-Sprecherin erküren müssen, nicht wahr? Und das war nicht die Abmachung. A-Also habe ich das getan, was von mir verlangt wurde. Ich halte mich an den P-Pakt. Deshalb s-seid Ihr doch hier.«
Shezira seufzte. »Ich bin gekommen, um dem Sprecher der Reiche meinen Respekt zu zollen. Ich hatte kein mitternächtliches Treffen mit einem Betrunkenen er – wartet.«
Hyram blickte sie forschend an. »Versprecht m-mir etwas!«
»Was versprechen?«
»V-Versprecht mir, die Wahrheit zu sagen. Verratet mir eine Sache, und ich v-verspreche, Euch zu meiner Nachfolgerin zu erklären.«
»Ich bin aus Prinzip keine Lügnerin, Hyram.«
»Als Antros starb, w-wart Ihr es, die seinen Gurt durchgeschnitten hat?«
Shezira ballte die Hände zu Fäusten. »Jeder, der damals dabei war, hat gesehen, was geschehen ist. Wie schon so oft machten wir Jagd auf Schnäpper. Nachdem wir das Rudel aufgespürt hatten, stürzten sich viele der Drachen auf sie – so wie seiner. Antros hatte das Geschirr immer zu locker angelegt, und an diesem Tag trug er den Gurt noch lockerer. Er fiel. Das hätte nicht geschehen dürfen,
Weitere Kostenlose Bücher