Der Drachenthron: Roman (German Edition)
aber das ist es, und es war auch nicht das erste Mal. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war das Sicherheitsseil zu lang. Es fing seinen Sturz zwar ab, doch er hing nun kopfüber unter seinem Drachen, wurde etwa eine Meile über den Boden und durch die Bäume geschleift, bis wir sein Reittier endlich zur Landung bewegen konnten. Nie zuvor habe ich einen Drachen so aufgeregt erlebt. Antros war bereits tot, als wir zu ihm kamen. Das alles passierte vor einem Dutzend Zeugen. Niemand hat ihn geschubst oder seinen Gurt durchgeschnitten.«
Hyram bedachte sie mit einem vorwurfsvollen Blick. »Ihr habt ihn jedoch n-nie gemocht.«
»Oh, ich war jung, und er war mehr als doppelt so alt wie ich!« Shezira stampfte mit dem Fuß auf. »Eines Tages sollte er der nächste Sprecher werden. Er hatte schon eine Frau vor mir, die ihm keine Kinder gebären konnte. Und genau das erwartete er von mir. Erben. Ich war eine pflichtbewusste Ehefrau, Hyram, und er ein pflichtbewusster Ehemann. Er flößte mir so großen Respekt ein, dass mir keine Zeit blieb, ihn zu mögen .« Sie seufzte. »Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn ich ihm einen Sohn geschenkt hätte, aber ich brachte lediglich Töchter zur Welt, eine nach der anderen. Lystra hat er sich nicht einmal angesehen.«
»Hmmm.« Unvermittelt setzte sich Hyram. Er klang traurig. »Keine Söhne für Antros, keine S-Söhne für mich. Das Ende unseres Geschlechts.«
»Ihr könnt immer noch Söhne zeugen.«
Zitternd schaute der Sprecher zu ihr auf. Shezira konnte nicht sagen, ob er lachte oder weinte. »S-Seht mich an, Frau! Wer würde mich denn nehmen? Würdet Ihr mich nehmen? Das hättet Ihr wirklich tun sollen. Von Rechts wegen wäre es Eure Pf-Pflicht gewesen. Nachdem Antros von uns gegangen ist, hättet I-Ihr mich heiraten müssen.«
Shezira seufzte. »Ja. Aber meine Gebärfähigkeit endete mit Lystra, worauf Ihr mich damals auch freundlicherweise hingewiesen habt.« Kopfschüttelnd blickte sie auf Hyram hinab. Das war nicht der Mann, den sie einmal gekannt hatte. Der alte Hyram hatte sie an ihren verstorbenen Gatten erinnert. Dieser hier … Sie wusste nicht, ob sie ihn verachten oder bemitleiden sollte. Sie wandte sich ab. »Außerdem habt Ihr mir die Schuld an Antros’ Tod gegeben. Das tut Ihr immer noch. Tief in Eurem Herzen glaubt Ihr, ich hätte meine Hand im Spiel gehabt.«
Als Hyram wieder zu sprechen ansetzte, waren seine Worte so leise, dass Shezira sie kaum verstand. »Aliphera ist e-ebenfalls von ihrem Drachen gefallen.«
Sie lachte. »Das ist lächerlich.«
»Wenn Antros g-gefallen ist, warum nicht auch sie?«
»Antros war arrogant. Aliphera war die Vorsicht in Person.«
»Ich habe B-Bellepheros zu König T-Tyans Drachennest geschickt, damit er dort Nachforschungen anstellt.« Er verzog das Gesicht. »Ja, d-dort ist es geschehen, und d-dorthin geht Eure Reise. Ich sollte Euch also w-warnen. S-Seid vorsichtig! Die Menschen in der Nähe der V-Viper sterben.«
»Die Viper?«
»Prinz Jehal. E-Er ist eine Schlange. Eine G-Giftschlange. Eine Viper.«
»Dann werde ich auf der Hut sein. Einige scheinen zu glauben, dass er seinen eigenen Vater vergiftet. Denkt Ihr, das könnte der Wahrheit entsprechen?«
»W-Warum findet Ihr das nicht heraus? Denn ich w-würde es liebend gerne wissen. Ein G-Geschenk für mich.« Er stand auf und breitete die Arme aus. »Im Tausch gegen all das.«
»Hier drinnen ist es kalt«, sagte Shezira. Sie war müde, und Hyram in diesem Zustand zu sehen hatte sie all der Freude beraubt, die ihr der Palast für gewöhnlich bereitete. »Ich werde mich in meine Gemächer zurückziehen und über Eure Worte nachdenken.«
»I-Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch hier. Ich hatte angenommen, dass die Glaskathedrale ein l-lichtdurchfluteter, farbenfroher Ort sei. Aber das ist sie nicht. Sie ist alt, aus kaltem, toten Stein erbaut, und ihre Fassade ist schon vor so langer Zeit vom Drachenfeuer zu Glas gebrannt worden, dass niemand mehr weiß, wie es geschehen ist.«
Shezira drehte sich langsam um. »Geht zu Bett, Hyram. Ruht Euch aus.« Sie verschwand.
Hyram blieb wie angewurzelt stehen und starrte in das steinerne Gesicht des Drachenaltars.
»D-Dieser Ort ist eine Lüge«, wiederholte er.
8
Der Angriff
E in Flammenmeer ergoss sich vom Himmel herab und verschlang den weißen Drachen sowie den Knappen in seiner unsäglichen Wut. Der Fluss kochte. Steine zerbars – ten in der Hitze. Huros stand stocksteif da. Er war fünfzig,
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