Der Drachenthron: Roman (German Edition)
überwältigenden Drang, seinen Onkel zu verprügeln. Behutsam löste er seine Fäuste.
»Der beste Drache ihres Nests. Das wurde mir versprochen.«
Der Drachenmeister verbeugte sich. »Ich habe Erkundigungen eingezogen. Wie immer geben die Alchemisten am gefügigsten Auskunft. Anscheinend hat es auf dem Weg hierher einen Vorfall gegeben. Wie mir gesagt wurde, ist Königin Shezira über den Adamantpalast gereist. Die Weiße hat sie jedoch nicht begleitet, und jemand muss die Gelegenheit beim Schopfe gepackt haben, um sie zu stehlen, während sie so schlecht bewacht war. Obwohl es Überlebende gab, darunter auch den Alchemisten, der mit Ihrer Heiligkeit aufgebrochen war, ist keiner von ihnen hierher nachgekommen. Ein Bericht aus erster Hand wird allerdings noch schmerzlich vermisst. Du gaffst ja mit offenem Mund, Hoheit.«
Jehal schloss den Mund. »Kein Wunder, denn was du da erzählst, Lord Drachenmeister, ist absurd.«
Meteroa schnaubte. »Wenn ich nicht mit absoluter Sicherheit wüsste, dass keiner deiner Drachen fort war, Hoheit, wäre mein erster Gedanke, dass das unser Werk ist.«
»Ja, aber da du weißt, dass ich meine Hände in Unschuld wasche, stehen wir nun vor einem wahrlich verblüffenden Rätsel! Ich hoffe, du kannst es bald lösen, Meteroa. Die Weiße gehört mir.« Er legte die Stirn in Falten. »Außerdem, warum sollte ich mein eigenes Geschenk stehlen?«
»Eine gute Frage. Sollen wir uns nun um die Alchemisten kümmern, Hoheit? Wie mir zu Ohren gekommen ist, haben sie ihre Arbeit beinahe beendet.«
Jehal spuckte aus. »Vergiss die Alchemisten! Ich will wissen, was mit meinem Drachen geschehen ist. Außer …« Er grinste. »Außer Königin Shezira hat sich selbst bestohlen, damit sie die Weiße nicht herausrücken muss.«
Meteroa schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht wie du, Hoheit. Das halte ich für unwahrscheinlich.«
»Wer war es dann?«
Jehal kratzte sich am Kopf. Um sich um einen Drachen zu kümmern, brauchte man ein Drachennest, und niemand konnte so dämlich sein zu glauben, dass man einen vollkommen weißen Drachen lange geheim halten konnte, wo auch immer er versteckt wurde. Also würde der Drache schon bald wiederauftauchen. Meteroa hatte wahrscheinlich recht, was Shezira anbelangte. Und was nun? Sollte er Königin Shezira den Krieg erklären? Wäre das nicht schrecklich gefährlich? Außerdem ein großes Risiko, und wozu? Was könnte ein solches Wagnis rechtfertigen? Welchen Gewinn könnte jemand daraus ziehen?
Eine plötzliche Kälte schien den Raum zu erfüllen. Was wären seine Alternativen, wenn man ihn mit dieser Neuigkeit konfrontieren würde? Nun, jemand, der ihn nicht so gut kannte, könnte womöglich annehmen, dass er die Hochzeit absagen würde …
Nein. Nein, das würde sie niemals tun …
Er wandte Lord Meteroa den Rücken zu und gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er sich nun zurückziehen durfte.
»Die Alchemisten, Hoheit? Großmeister Bellepheros wünscht eine geheime Audienz.«
»Ja, ja, ja. Gewähr sie ihm. Und geh jetzt. Ich muss nachdenken.«
»Ja, Hoheit.« Jehal spürte, wie sich Meteroa verbeugte und davonschlich. »Sobald du deine Grübeleien beendet hast, Hoheit, vertraue ich darauf, dass du jegliches neu gewonnene Wissen mit mir teilst?«
16
Die Outsider
S ollos watete mit Kemir im Schlepptau durch den Schlamm. Zu seiner Rechten wurde er tiefer und pappiger, bis er schließlich in einen Bergsee überging. Zu seiner Linken schien der Morast ebenso unwegsam zu sein. Hier war der Wald dichter bewachsen, und es gab sogar noch mehr Wurzeln und abgestorbene Äste, die ihnen den Weg versperrten. Die Sonne war bereits hinter einem der Gipfel verschwunden, die den See umrahmten, und in einer halben Stunde wäre es dunkel. Und dann , dachte Sollos griesgrämig, sind wir verratzt .
Vor ein paar Stunden hatte es sich nach einem vernünftigen Plan angehört. Reiter Semian hatte sie tief in die Berge geflogen. Sollos schätzte, dass sie sich etwa fünfzig Meilen südwestlich ihres eigenen Lagers befanden, als der Drache an Höhe verloren und in einem Halbkreis um das Seeufer geschwebt war. Das Dorf war nur zu deutlich zu sehen gewesen, und Semian hatte am Ufer, nur etwa eine Meile entfernt, einen Ort zum Landen gefunden. Der Tag hatte sich bereits seinem Ende geneigt, doch der Weg bis zur Siedlung war nicht weit, und Sollos war zuversichtlich gewesen, dass sie das Dorf vor Anbruch der Dunkelheit erreichen würden.
Aber sie hatten nicht
Weitere Kostenlose Bücher