Der Drachenthron: Roman (German Edition)
lebte.
Kailin sonnte sich gerade auf einem Felsblock neben einem Fluss, als er den ersten Schrei vernahm. Er schaute auf und sah eine Frau, die, von einem Stein zum nächsten springend, durch das Wasser in seine Richtung lief. Als er sich aufsetzte und sie überrascht anstarrte, bemerkte er, dass sie nicht allein war. Ein halbes Dutzend Männer folgten ihr in knappem Abstand.
»Hilf mir!«, rief sie.
Die Fremde rannte genau auf ihn zu. Als sie seinen Felsblock erreichte, fiel sie vor Kailin auf die Knie und umklammerte seine Hand. Sie sah erschöpft und verängstigt aus. »Ich weiß nicht, wer du bist, aber hilf mir, bitte! Sie werden mich umbringen.« Dann blickte sie zu ihm auf, nahm ihn genau in Augenschein, sah seine vernarbte, schuppige Haut und begann zu schreien.
Kailin verzog das Gesicht und dachte an Schneeflocke, spürte jedoch nichts. Der Drache musste meilenweit weg sein. Der Knappe war wie versteinert. Als die Männer näher kamen, verlangsamten sie ihr Tempo. Sie waren zu sechst und mit Schlagstöcken und Messern bewaffnet. Ein boshaftes Grinsen breitete sich auf ihren Gesichtern aus. Kailin starrte sie an, unfähig sich zu bewegen.
Einer der Männer beäugte ihn mit unverhohlener Abscheu von oben bis unten. »Wer zum Teufel bist du?« Dann machte er einen Satz nach vorne und ließ den Stock auf Kailins Kopf herabsausen. Kailin hob die Hände, um den Schlag abzuwehren. Der Stock prallte von seinem Ellbogen ab. Ein höllischer Schmerz durchzuckte jeden Zentimeter seines Arms, bevor alles taub wurde. Kailin wimmerte. Im nächsten Moment stürzte sich auch der Rest der Männer auf ihn, schlug ihn mit roher Gewalt zu Boden, bis alles in einer Woge aus Schmerz verschwamm.
»Gut gemacht, Maryk«, hörte er jemanden sagen.
Kailin kehrte nur widerwillig und ganz allmählich in die Welt zurück. Seine Arme fühlten sich an, als seien sie ausgekugelt. Seine Rippen schmerzten schrecklich. In seinem Kopf schien ein Unwetter zu wüten.
Kailin schlug die Augen auf. Er baumelte etwa drei Meter über dem Boden, an einem Seil, das die Männer um seine Handgelenke geknotet hatten. Ein dichtes Dach aus Blättern und Ästen versperrte den Blick auf den Himmel über ihm und verwandelte das Sonnenlicht in düstere Schatten. Er konnte den Fluss mit dem Felsen sehen, wo ihn die Männer bewusstlos geprügelt hatten. Sie waren immer noch dort und vergingen sich abwechselnd an der Frau. Ihr Gesicht war geschwollen und rot, und ihr Rücken mit frischen Narben übersät. Sie beschimpften sie und fluchten mit einer solch gehässigen Bosheit, dass Kailin die Worte kaum verstand. Hure. Diebin . Das war alles, was er erkannte.
Als sie schließlich von ihr abließen, drückten sie zwei Männer zu Boden, während ein dritter ein verknotetes Seil hervorzog und sie auszupeitschen begann. Sie spuckte und trat nach ihnen, doch es war ein kurzer, einseitiger Kampf, und am Ende konnte sie ihnen nichts weiter entgegensetzen als ihre Schreie. Zuletzt verstummten auch diese. Ihr Rücken war eine einzige blutige Wunde, aber der Mann mit dem Seil hörte erst auf, als einer der anderen ihm die Hand auf den Arm legte.
»Lass sie in Ruhe. Sie ist so gut wie tot.«
Der Mann mit dem Seil wischte es sauber und benutzte es dann, um der Frau die Füße zusammenzubinden. Kailin schloss die Augen, als sie sich von ihr abwandten und in seine Richtung sahen.
»Hast es wohl genossen, uns zuzuschauen, nicht wahr, du Krüppel?«, rief einer von ihnen.
»He! Dieb! Wach auf!« Ein Stein traf Kailin am Bauch, und dann ein weiterer, diesmal an der Schulter. Er versuchte mit aller Gewalt, nicht zu zucken.
»Ach, lass ihn doch. Der wird nirgendwo mehr hingehen.«
»Sieh ihn dir an! Er hat die Pest.«
»Nun, ich fass ihn jedenfalls nicht an.«
»War es das wert, Dieb? Monster? Was auch immer du bist? Schau her! Schau her, was sie dir mitgebracht hat! Fast nichts. Hier, das kannst du haben. Gib deiner Hure aber ja die Hälfte ab. Immerhin hat sie dafür gearbeitet.« Kailin hatte nicht den blassesten Schimmer, wovon sie redeten.
»Vergiss nicht, die Beine anzuziehen, sobald die Schnäpper vorbeikommen. Sie könnten zu dir hochspringen, falls der Hunger groß genug ist. Deine Hure wird ihnen jedenfalls nicht reichen.«
»Wahrscheinlich würden sie ihn einfach links liegen lassen. Seht ihn euch doch an! Er hat die Pest, das schwör ich.«
Laut lachend gingen sie fort. Als ihre Stimmen längst verklungen waren, öffnete Kailin die Augen. Die Frau war
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