Der Drachenthron: Roman (German Edition)
Heiligkeit.« Der Wortmeister zog sich mühsam aufs Dach. »Aber Ihr solltet mir lieber sagen, was es da zu sehen gibt. Meine Augen sind genauso alt wie der Rest von mir.«
»I-Ich möchte wissen, W-Wortmeister: Was werden die B-Bücher über mich berichten?«
»Ha!« Herlians gackerndes Lachen klang, als zerbrächen alte, trockene Zweige. »Falls ich sie schreibe, wird darin stehen, dass Ihr ein übellauniger, kleiner Junge gewesen seid, der ständig seinen Unterricht schwänzte, den Älteren nicht den gebührenden Respekt entgegenbrachte und das Leben seines Lehrers zu einer einzigen Höllenqual machte.« Der Wortmeister humpelte zum Rand des Turms und blickte hinab. »Geht ganz schön weit hinunter. Hm. Vermutlich würde ich wohl auch erwähnen, wie ein dickköpfiger Drachenritter eine Bürde auf sich nahm, die eigentlich für seinen Bruder bestimmt war. Ich weiß, Ihr habt es nie gewollt. Und ich meine jetzt nicht nur das Amt des Sprechers. Ich meine, der Älteste zu sein.«
»G-Geschichte, Wortmeister, mehr will ich nicht.«
»Ich bestehe aus nichts weiter als Geschichte, mein junger Meister Hyram. Wenn Ihr Euch nach Schmeicheleien sehnt, dann holt Euch einen Speichellecker, der all die Stufen hochkommen soll. Ich weiß, was Ihr denkt. Ihr denkt, dass es unzählige Bücher über das Leben von Vishmir und den anderen verstorbenen Sprechern gibt. He! So vergesslich bin ich noch nicht. Ich erinnere mich, wie Eure Augen vor Freude geleuchtet haben, sobald ich mich breitschlagen ließ, Euch etwas aus ihnen vorzulesen. Eure Geschichte wird viel kürzer ausfallen, Eure Heiligkeit. Zehn Jahre Frieden und Wohlstand, in denen nichts von Bedeutung vorgefallen ist, sodass die kleinen Leute in allen Reichen ein zufriedenes Leben führen und alt und fett werden konnten. Die Geschichte eines wahrlich guten Sprechers sollte genau so aussehen. Das muss Euch genügen.«
»M-Muss es das wirklich?«
Herlian zuckte mit den Achseln. »Für den Rest von uns ist es genug. Falls es Euch jedoch nicht ausreichen sollte, müsst Ihr es mir nur sagen. Ich werde Euch Kriege erdichten, wenn es das ist, was Ihr wünscht. Bedeutende Siege, epische Schlachten, reihenweise Prinzessinnen, die Euch zu Füßen liegen. Was immer Euch gefällt. So viel Ruhm, wie Ihr wollt.«
»N-Nein, Wortmeister, das w-wird nicht nötig sein.« Hyram schüttelte den Kopf und versuchte, die erdrückende Last der Hoffnungslosigkeit wegzuschieben, die ihn in letzter Zeit niederdrückte. Das ist es also? Ich werde als guter Sprecher in Erinnerung bleiben, weil sich niemand die Mühe gemacht hat, etwas anderes über mich zu schreiben? Aber warum sollte man sich dann überhaupt an mich erinnern? Er setzte sich, da es Herlian nur so gestattet war, sich ebenfalls ein wenig auszuruhen. »H-Habt Ihr Eure Feder bei Euch? Lasst uns mit dem Schreiben an P-Prinz Jehal beginnen, in dem ich ihn zu mir zitiere. V-Vielleicht springt ja sogar doch noch eine Hinrichtung heraus, die Ihr dann in einer F-Fußnote abhandeln könnt.«
31
Königin Alipheras Gärten
I ch habe ein Geschenk für dich.« Jehal setzte sein verführerischstes Lächeln auf. Zafir sah ihn durch ihre Wimpern an. Sie gingen gemeinsam spazieren, Seite an Seite, zwischen vielfarbigen Büschen und Blumenbeeten, die in allen Regenbogenfarben leuchteten. Die strahlende Sommersonne war warm und angenehm, und eine leichte Brise umspielte Jehals Nase mit sonderbaren Gerüchen, einer berauschenden Mischung aus feinsten Duftessenzen und kräftigen Gewürzen.
»Gefallen dir meine Gärten?«, fragte Zafir. »Meine Mutter hat sie angelegt.« Die beiden hielten beim Gehen einen keuschen Abstand, damit sie sich keinesfalls berührten, nicht einmal unabsichtlich. Hinter ihnen folgte ein Tross aus Zafirs Hofdamen, zwar in gebührendem Abstand, jedoch nie so weit weg, als dass sie sie aus den Augen verloren hätten. Für den Fall, dass sie als Zeugen gebraucht wurden, um zu bestätigen, dass nichts Unschickliches vorgefallen war.
»Sehr, Eure Heiligkeit.« Er hasste es, sie mit Heiligkeit ansprechen zu müssen, nur weil sie jetzt eine Königin war und er ein einfacher Prinz. Das musste sich schnellstmöglich ändern. »Königin Alipheras Gärten sind zu Recht in allen Reichen bekannt. Selbst im hohen Norden …« Er beendete den Satz nicht.
»Du meinst, selbst unsere liebe Prinzessin Lystra hat von ihnen gehört? Das ist kaum vorstellbar.« Ihre Worte waren scharf wie Rasierklingen. »Ist sie wohlauf, deine
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