Der Drachenthron: Roman (German Edition)
um ihn herum geschah. Im einen Moment stand der Alchemist noch vor ihm, im nächsten wurde er in die Luft geschleudert, und die Spitze von Schneeflockes Schwanz wickelte sich um ihn herum. Hilflos baumelte Meister Huros vor Schneeflockes Gesicht – schreiend, kreischend, flehend -, während alle anderen wie erstarrt zuschauten. Vereinzelte Gedankenfetzen zuckten durch Kailins Bewusstsein, Gedanken, die nicht ihm gehörten und mit solch unsäglichem Zorn erfüllt waren, dass er im Wasser in die Knie sank und sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt. Elixiere? Erinnerungen? Wie? Wie lange schon? Wie lange tust du das schon? WIE LANGE?
Kailin sah den Moment nicht kommen, als Schneeflocke plötzlich den Knoten in ihrem Schwanz zusammenzog und das Leben aus dem Alchemisten herausquetschte, ihn regelrecht in zwei Teile riss. Er sah jedoch den Leichnam, der wie von einem Katapult geschleudert durch die Luft flog und mit einer solchen Wucht gegen einen der Ritter prallte, dass dieser vom Boden gerissen wurde und beide schließlich wie Puppen mit verrenkten Gliedern im Wasser liegen blieben. Der Himmel verdunkelte sich, als Schneeflocke mit einem Satz über Kailins Kopf sprang und genau dort landete, wo gerade noch der Ritter gestanden hatte. Beim Aufsetzen erzitterte die Erde, und im nächsten Augenblick schlug sie mit den Klauen nach einem neuen Reiter. Der Mann schrie entsetzlich, während sie ihn zermalmte, und Kailin hörte, wie sich die Metallplatten seiner Rüstung verbogen und zersplitterten. Die anderen Ritter suchten Schutz unter den Bäumen. Schneeflocke zielte mit dem Schwanz nach ihnen und schleuderte dabei mannshohe Gesteinsbrocken durch die Luft. Sie erfasste einen weiteren Reiter und knallte ihn gegen einen Baum. Der Mann stand nicht mehr auf.
Dann kam das Feuer. Schneeflocke warf den Kopf von einer Seite zur anderen und ertränkte den Waldrand in einem wahren Flammenmeer. Alle Ritter, die schnell genug waren, kauerten sich hinter ihre Schilde aus Drachenschuppen, sodass ihnen die Hitze nichts ausmachte.
Doch solange sie sich hinter ihren Schilden zusammenkauerten, konnten sie nicht weglaufen. Schneeflocke sprang aus dem Fluss und erklomm in Windeseile die Böschung bis zum Wald. Sie spuckte wieder Feuer, und dieses Mal schnalzte ihr Schwanz in die Baumreihen. Sie packte einen Ritter, schleuderte ihn dreißig Meter in die Luft, bevor sie sich dem nächsten zuwandte, den sie mit dem Kopf nach unten gegen die Steine im Flussbett knallte. Kailin wimmerte und hielt sich die Augen zu. Er konnte sich nicht überwinden, dem Massaker zuzusehen. Männer schrien, Äste knackten, Baumstämme zerbarsten.
Hastige Schritte platschten durchs Wasser auf ihn zu. Da hörte er eine Stimme: »Was tust du da? Bist du verrückt?«
Arme zogen ihn unsanft hoch und hielten ihn fest umklammert. Kalter Stahl berührte seine Kehle.
»Du befiehlst deinem Drachen, mit diesem Mist aufzuhören, verstanden?«
Dann eine andere Stimme: »Kemir! Lass ihn in Ruhe, du Idiot!«
Kailin verzog das Gesicht. »Das kann ich nicht.« Ich kann sie nicht aufhalten. Sie hört nicht auf mich.
»Kemir! Sie läuft Amok! Du kannst sie nicht aufhalten!«
»Er hat recht.« Schneeflocke. Hör auf! Hilf mir!
Der Mann, der ihm das Messer an die Kehle drückte, erstarrte, als wollte er ihm im nächsten Moment den Todesstoß versetzen. »Na schön, dann kommst du eben mit uns.« Er begann, Kailin aus dem Fluss zu zerren. »Wenn sie uns abfackelt, wird sie dich ebenfalls töten müssen, du kleiner Mistkerl.«
In dieser Sekunde war sein Schicksal besiegelt. Ihrer aller Schicksal war besiegelt. Kailin wusste es. Er spürte, dass Schneeflocke seinen Hilferuf gehört hatte. Sie war mit den anderen Rittern noch nicht fertig, doch sobald sie das wäre …
»Verdammt!«
Sie hatten es fast geschafft, da schoss Schneeflocke aus dem Flammeninferno auf der anderen Seite des Flusses auf sie zu und ließ Asche und Glut und brennende Äste auf sie herabregnen. Das Feuer loderte wieder auf, und der andere Mann kreischte.
»Sollos!« Kailins Entführer stolperte, und beide fielen gemeinsam ins feuchte Gras. Der Mann ließ ihn jedoch nicht los, sondern rollte sich auf den Rücken und hielt Kailin wie ein Schutzschild über sich. Sie starrten zu Schneeflocke hoch, die zornig auf sie herabsah. Ihre Zähne waren blutig, ihre Augen blitzten, und sie hielt wieder jemanden in ihren Schwanz gewickelt. Durch die Rauchschwaden und das Durcheinander dieses Grauens glaubte Kailin
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