Der Drachenwald
die meine große Schwester so mag.
»Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Tim«, sagte die Prinzessin mit ihrer samtweichen Stimme. »Ich bin Prinzessin Wilma.«
Von da an wusste ich erst wirklich, dass sie eine Prinzessin war, aber ich schwöre, gespürt hab ich’s gleich. Und jetzt, wo sie mich wieder mit ihren tiefen, dunklen Augen ansah, spürte ich es noch viel mehr. Es war wie … Keine Ahnung, wie, aber ich war irgendwie ganz weggetreten, und das kam nicht von dem Zusammenstoß mit dem Baum. Von dem hatte nur mein Helm eine Schramme, genau an einer Augenhöhle vom Totenkopf, wie ich jetzt sah, und meine Nase hatte wohl auch was abgekriegt, denn da spürte ich plötzlich einen kleinen Schmerz, und als ich über die Nasenspitze schielte, sah ich ein bisschen Blut.
»Deine Nase«, sagte die Prinzessin und streckte die Hand danach aus.
Ich hielt ganz still, und sie fuhr mit ihrer samtweichen |89| Fingerspitze sachte darüber, und der Schmerz war wie weggeblasen.
»Tut’s weh?«, fragte sie.
»Noch ein bisschen«, sagte ich, obwohl es gar nicht stimmte.
Aber der Schönling hatte scheinbar was gemerkt und sprang auf.
»Los, kommt, wir müssen zurück!«, sagte er.
Jetzt sah ich, dass er genauso angezogen war wie unsere Freunde von der Wackerburg oder die Wilden Wölfe: Er trug Leggins und spitze Schuhe, ein bisschen ein aufgeplustertes Hemd mit einem Wams und einem Gürtel darüber, in dem ein Schwert steckte, nur alles in Braun und Weiß. Das heißt, eigentlich war alles braun und nur das Hemd war weiß. Wenn in meinen Ritterbüchern nichts Falsches stand, musste er ein Knappe sein. Aber was machte ein Knappe mit einer Prinzessin im Drachenwald? Und wieso war sie nicht wie eine Prinzessin angezogen? Wie kamen die überhaupt hierher? Die Raubritter hatten doch den Tross mit der Prinzessin überfallen? Hatten die zwei fliehen können? Und was meinte der Schönling mit »zurück«? Zurück zum Tross? Von dem doch wahrscheinlich nicht viel übrig war?
Ich hatte mich gerade aufgerappelt und wollte |90| den beiden ein paar Fragen stellen, als das Gebrüll wieder anfing.
»Hrrrrrghrrr …!«, kam es von vorne rechts.
»Hrrrrrghrrr …!«, kam es von hinten links.
Ich spürte schon wieder das Kribbeln in meinen Knetebeinen, aber dann, ganz plötzlich, sagte ich mir, dass Weglaufen ja keinen Sinn hatte. Und nicht nur das: Ich sagte mir auch, dass Weglaufen feige war. Nur Schwächlinge liefen weg! Und wie hatte Robert gesagt: »Sei tapfer, mein Freund!« Jawohl, ich würde tapfer sein! Ich würde kämpfen, und wenn es gegen Drachen ging!!!
Falls es jemanden interessiert, wie man so schnell so tapfer wird, wie ich es gerade wurde: Das wird man, wenn sich eine leibhaftige Prinzessin an einen klammert.
»Hrrrrrghrrr …!«, kam es von vorne rechts.
»Hrrrrrghrrr …!«, kam es von hinten links.
Und es machte mir überhaupt nichts aus.
|91| Das dreizehnte Kapitel,
in dem ein wild gewordener langhaariger Maikäfer vorkommt (Und Tim kann ihn überhaupt nicht leiden!)
»Hrrrrrghrrr …!«
»Hrrrrrghrrr …!«
Die Prinzessin hielt mich ganz, ganz fest und ich sie natürlich auch. Der Schönling hatte niemanden zum Festhalten, vielleicht war er darum so aufgeregt. Er hatte sein Schwert gezogen und brauste auf der Lichtung herum wie ein wild gewordener Maikäfer. Ganz in Kackbraun, nur mit weißen Ärmeln sah er auch genauso aus. (Okay, die Prinzessin war auch in Braun-Weiß, aber an ihr sah das Braun eben nicht kacke aus, keine Ahnung, warum.)
»Hrrrrrghrrr …!«, brüllte der Drache vorne rechts.
»Hrrrrrghrrr …!«, antwortete der Drache hinten links.
So war es nämlich: Es hörte sich an, als würde immer der hinten links dem vorne rechts antworten.
»Hrrrrrghrrr …!«
»Hrrrrrghrrr …!«
|92| Und dann war es wieder still. Totenstill. Und der Maikäfer blieb stehen. Und die Prinzessin ließ mich los. Aber ich sie nicht. Da nahm sie ganz sachte meine Arme und schob mich von sich weg, aber nur ganz sanft.
»Danke, Tim!«, hauchte sie mit ihrer samtweichen Stimme, und ihre Augen waren so dunkel und tief, und wir standen keinen halben Schritt auseinander …
… und ausgerechnet da kam uns der dämliche Maikäfer in die Quere.
»Was war das, sag!«, sagte er.
»Was?«, fragte ich, obwohl ich ganz genau wusste, was er meinte.
»Das Gebrüll«, sagte er.
Am liebsten hätte ich gesagt: »Gebrüll, was für ein Gebrüll?«, aber ich weiß, dass es nicht alle
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