Der Dreissigjaehrige Krieg
»schwer überschaubare Konfliktbündelung«. Vielleicht war alles ganz anders. Vielleicht lebten hier einfach nur zu viele Menschen, was die ökonomischen Strukturen stark veränderte und zu scharfen Versorgungskrisen führte. Oder das Wetter spielte verrückt, bis hin zur klimatischen Katastrophe, die in die Geschichte als »Kleine Eiszeit« eingegangen ist. Bis hin zum Verderben.
Die deutschen Lande waren, in den Jahrzehnten vor dem Dreißigjährigen Krieg, Einwanderungsland – wegen der vergleichsweise liberalen Bedingungen, die seit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 hierzulande für Protestanten galten. Zwischen 1500 und 1618 hat sich die Bevölkerung fast verdoppelt; Wissenschaftler glauben, dass eine solch spürbare Bevölkerungsvermehrung zumindest zwei Folgen zeitigt: Bezahlte Arbeit wird knapp, und zu gleicher Zeit steigt die Nachfrage, besonders nach Lebensmitteln. Auch wenn der britische Ökonom John Maynard Keynes die Phase kurz vor und kurz nach 1600 als »eine der größten Aufschwungszeiten« beschreibt, gar als Start in den »Kapitalismus« – die neuere Geschichtsforschung sieht jedoch bereits in den letzten Dekaden dieses Jahrhunderts deutliche Krisenphänomene.
»Die Lebenswelt der Frühmoderne«, notiert der Freiburger Geschichtsprofessor Johannes Arndt, sei »eine Welt des Mangels« gewesen, und dies galt speziell hierzulande. In jedem Jahrzehnt kam es gewöhnlich zu drei unterdurchschnittlich guten Ernten; wenn die schlechten Erträge ungünstigerweise aufeinanderfolgten, schossen die Preise gefährlich hoch, »nicht selten lebensgefährlich« (Arndt). Zu wenig Geld für zu teure Waren, zu wenig Arbeit für zu viele Menschen – etliche konnten sich vielleicht gerade noch Brot leisten.
Kein Wunder, dass derlei existentielle Bedrohungen sich widerspiegelten in der beherrschenden Symbolik jener Zeit: den vier apokalyptischen Reitern aus der Johannes-Offenbarung, Boten des nahenden Weltuntergangs. Pest, Krieg, Tod. Und Hunger.
Die Natur sorgte dafür, dass sich die Krisen verschärften. Seit etwa 1570 gingen die Temperaturen stetig zurück. Die Sommer waren in aller Regel nass und kalt, die Winter oft extrem lang, eine Katastrophe für Landwirte und Fischer, Winzer oder Viehbauern. Der Geograf Rüdiger Glaser hat die »Klimageschichte Mitteleuropas« beschrieben, sein Blick auf den Vorabend des Dreißigjährigen Krieges ist sicherlich nur ein Ausschnitt der Zeit. Dennoch lässt dieser Blick die Dramatik jener Jahre aufscheinen:
1608
Sehr strenger Winter, im Süden und im Norden. Katastrophale Überschwemmungen im Binnenland, Hochfluten im Küstenbereich.
1609
Kühler Sommer, sehr trocken, dennoch zahlreiche Starkregen. Saurer Wein, starke Herbstfröste in Norddeutschland.
1611
Im Februar milder als sonst üblich. Kälteeinbruch Anfang Mai, starke Schädigung der Vegetation.
1612
Gegen Ende des Jahres auffallend häufig Stürme über Mitteleuropa.
1614
Chronisten berichten, es sei kalt »wie seit Menschengedenken nicht mehr«. Das Wintergetreide verfault unter den Schneemassen. Selbst im Mai blüht noch nichts.
1615
Brunnen versiegen unter Eisschichten. Im späten Frühjahr erfrieren Bäume und Weinstöcke, im trockenen Sommer versiegen Bäche – und Mühlen stehen still, wegen des Wassermangels.
161 7
Im Stuttgarter Raum war es Anfang des Jahres »so warm, dass man in der fünfften Wochen mit pflügen und hacken das Feld angriffen«, notierte ein Zeitgenosse. Dann schlug es um: Der Wein sei dermaßen »saur/dass man ihn … nicht zu Gelt bringen kundt …«
Der Bodensee, eines der größten Binnengewässer Westeuropas, vereiste in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zweimal – »Seegfrörni« heißt dieses Spektakel. »Selbst Insekten und Mikroorganismen«, schreibt Glaser, seien »von der Abkühlung betroffen« gewesen, die Anophelesmücke etwa, die Malaria auslösen kann, verschwand erst einmal. Stattdessen machten sich Läuse und Flöhe breit, weil sie in der dicken Kleidung der frierenden Menschen geeigneten Unterschlupf fanden – Flöhe gehören zu den Überträgern der Pest, die wieder einmal wütete. »Krankheit, Hunger und entsprechende Mortalitätskrisen« seien ständige »Begleiter der Kältephasen« gewesen, so Glasers Befund.
Vielleicht lag es daran, dass es, wie von Zeitgenossen beobachtet, kaum Sonnenflecken gab – was wiederum Einfluss auf das irdische Wetter gehabt haben dürfte. Denn wenige Sonnenflecken, dies freilich ist eine ganz junge wissenschaftliche
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