Der Dreissigjaehrige Krieg
Straße hinunter. Christine Meurer, Wirtin des Schwanen, wird den Weg täglich gegangen sein, denn das Erdgeschoss des Rathauses war die städtische Markthalle. Doch an diesem Tag, Ende Juni 1633, kam sie nicht aus freien Stücken: Wachen trieben sie die steinerne Wendeltreppe hinauf in den Gerichtsraum im ersten Stock, wo der Scharfrichter wartete, der sie folterte, bis ihre Schreie durch die Altstadt drangen. Meurer sollte gestehen, was 19 Bürger ihr vorwarfen, die sie für »dergleichen Leuthe und eine Zauberin« hielten: dass sie eine Hexe sei.
Büdingen liegt auf halber Strecke zwischen Frankfurt und Fulda, beschaulich zwischen bewaldeten Hügeln und Streuobstwiesen; noch heute muten die Fachwerkhäuser und Gässchen an wie vor 400 Jahren. Doch damals war die Stimmung alles andere als idyllisch. Mehr als 100 Menschen, zumeist Frauen, wurden hier 1633 und 1634 wegen magischer Delikte hingerichtet – in einer Stadt von gerade einmal 1100 Einwohnern. Wenig später, 1652 und 1653, traf es noch einmal mindestens 50 angebliche Hexen und Zauberer. Die Stadt war infiziert von einer Angst vor dunkler Magie, die ab 1560 weite Teile Europas erfasste. Insgesamt fielen ihr zwischen 1430 und 1782 schätzungsweise 60.000 Menschen zum Opfer, fast die Hälfte von ihnen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.
Doch nicht überall zeigte die Obrigkeit einen solchen Eifer wie in Büdingen: In Spanien und Portugal, im Herzogtum Bayern oder in der Kurpfalz gab es kaum oder keine Prozesse. Im Gebiet der Kölner Kurfürsten zwischen Rhein und Ruhr dagegen fiel das Todesurteil über mehr als 2000 angebliche Hexen, auch in den fränkischen Hochstiften Bamberg und Würzburg starben überdurchschnittlich viele Menschen durch Schwert, Strick oder Feuer, ebenso in calvinistischen Grafschaften wie Nassau-Dillenburg, Schaumburg, Lippe, Hessen-Kassel – und Büdingen. Schon 1560 hatte man in der Hauptstadt der Grafschaft eiserne Ringe für die Fesseln der Verdächtigen im »Hexenturm« angebracht und erstmalig Frauen hingerichtet. Ihren Höhepunkt erreichten die Prozesse während des Dreißigjährigen Krieges, in dem immer neue Truppendurchzüge die Region schwer belasteten.
Doch trotz der zeitlichen Nähe hingen Zaubereiprozesse und Krieg nur lose zusammen. Die Furcht vor Hexen hatte ihre Wurzeln in den verschiedenen, sich überlagernden Krisen des 14. bis 17. Jahrhunderts: Die »Kleine Eiszeit« sorgte für schlechte Ernten und Not und schuf so ein gesellschaftliches Klima von Neid, Missgunst und sozialen Spannungen. Die Pest wütete, Krieg und Religionskonflikte schwächten das Land und seine Bewohner, furchterregende Seuchen rafften das Vieh dahin. Die Menschen der frühen Neuzeit hatten keine anderen Erklärungen für die Übel, als dass Gott sie für ihre Sünden strafte – oder dass Schadenzauber das Unglück auf sie gelenkt hatte. Nicht nur das einfache Volk, auch Theologen aller Konfessionen und sogar gelehrte Juristen an den Universitäten glaubten fest an die Existenz einer ketzerischen Sekte der finstersten Sorte: Hexen, so wusste man, schlossen einen Pakt mit dem Teufel und trieben Unzucht mit ihm, sie flogen nachts zum Hexensabbat und konnten Vieh, Menschen oder das Wetter verzaubern. Wie viele seiner Zeitgenossen kannte auch der Büdinger Amtmann Johann Joachim Hartlieb nur eine Lösung, um Gottes Zorn zu besänftigen und die verderbliche Magie zu stoppen: Man müsse das »Hexengeschmeis« beseitigen. Dann werde auch der Krieg schlagartig enden, glaubte der oberste Beamte des Grafen Philipp Ernst zu Ysenburg und Büdingen.
Hartlieb führte die Hexenprozesse im Namen des Landesherrn, doch es waren in Büdingen wie vielerorts die Bürger, die auf unerbittliche Verfolgungen drängten: Der Graf solle das »seltsame Reich zerstören und das Unkraut aus dem Acker der christlichen Kirche ausrotten«, bat die Bürgerschaft im Mai 1633 ihren Regenten in einem Brief, dem sie später noch 20 weitere folgen ließ. Sämtliche Schreiben hatten die gleiche Botschaft: Alle Hexen in der Stadt müssten vernichtet werden. Üble Gerüchte waberten durch die Kommune: Bürger verdächtigten ihre Nachbarn, das Vieh auf zauberische Weise vergiftet oder dem Kind eine tödliche Krankheit angehext zu haben, Ehemänner argwöhnten, ihre Frauen seien vom Satan zu geheimnisvollen Ritualen verlockt worden. Barbara Blosen etwa melke die Kühe am Schwanz und könne Flöhe und Hühner machen, ja sie habe ein Verhältnis mit einem schwarzen Mann mit
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