Der Dreissigjaehrige Krieg
indem er nicht mehr, wie bisher, die eingehenden Nachrichten mit der Hand auf seine Seiten übertrug, sondern die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern nutzte. Im Handbetrieb schaffte ein Zeitungsschreiber damals etwa 15 bis 20 Exemplare pro Woche; mit einer Druckmaschine konnte nicht nur die Auflage erhöht, sondern auch der Preis jedes einzelnen Exemplars gesenkt werden. Zahlende Abonnenten hatte Carolus bereits: Er berichtet, dass er sein Blatt »ettlichen herren umb ein gewisß jahrgelt« einmal die Woche zustelle. Weil aber der Kauf der Druckerei mit so hohen Kosten verbunden war und auch die wöchentliche Produktion der Zeitung Mühe bereitete, wollte sich Carolus in Straßburg das Monopol sichern. In seiner Bittschrift regte er an, dass Rivalen zur Abschreckung mit einer »gelttstraff« bedacht werden. Carolus stellte den Straßburger Stadtvätern dafür sogar vier Gratis-Abos in Aussicht – doch die antworteten ihm schroff, dass »sein begeren rundt abgeschlagen« sei.
Zum Glück ließ sich Johann Carolus nicht entmutigen und druckte seine Zeitung auch ohne obrigkeitlichen Schutz. Bekannt wurde sein Blatt unter dem Titel »Relation«; die ersten erhaltenen Exemplare stammen aus dem Jahr 1609. Damals lautete der Titel des Jahresbandes »Relation Aller Fürnemmen und gedenckwürdigen Historien so sich hin unnd wider in Hoch unnd Nieder Teutschland auch in Franckreich Italien Schott und Engelland Hisspanien Hungern Polen Siebenbürgen Wallachey Moldaw Türckey Inn diesem 1609. Jahr verlauffen und zutragen moechte«.
Eine Zeitung nach heutigen Maßstäben war das aber noch lange nicht. Carolus fehlte dafür jeder redaktionelle Anspruch. Schon auf dem Titelblatt versichert er, die Nachrichten »auff das trewlichst« so in sein Blatt aufgenommen zu haben, wie er sie bekommen habe. Das bedeutet: Weder traf er eine redaktionelle Auswahl, noch hat er die Nachrichten lesbarer formuliert. Zeitungen wie die von Carolus umfassten damals meist vier, manchmal auch acht Seiten in kleinem Format. Die Nachrichten waren geordnet in Blöcken, die sich nach dem Eingang der Korrespondenzen richteten, wie sie mit der Post ankamen.
Ohne Post hätte es die Blätter wohl nicht gegeben. Denn Zeitungsmacher bezogen ihre Informationen in der Regel über Begleitschreiben der Postsendungen, sogenannte Avisen, aus den Städten, die an Postlinien angeschlossen waren. So war es auch kein Zufall, dass die beiden ersten Wochenzeitungen der Welt, Carolus’ »Relation« und der 1609 gegründete »Aviso, Relation und Zeitung« des Wolfenbütteler Druckers Julius Adolph von Söhne, mehr als 90 Prozent ihrer Meldungen nur aus einer Handvoll europäischer Städte bezogen: Antwerpen, Köln, Prag, Wien, Venedig und Rom. Hier lagen die großen Postämter, die als Nachrichtenzentralen und als Tor zur Welt fungierten; hier wurden Ereignisse aus fern und nah aufgeschrieben und weitergeleitet.
Die Post war zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges aber noch eine relativ neue Erfindung. Gerade mal 100 Jahre alt, bestand sie noch keineswegs aus einem Netz, sondern aus einzelnen Strecken, sogenannten Kursen. Vor allem die in Europa weitverzweigte Familie Taxis hatte sich mit dem Aufbau solcher Poststrecken Verdienste erworben. Von den bisherigen Reiterboten unterschied sich das neue Postsystem durch das Prinzip der regelmäßigen Staffel: Ein Reiter brachte seine Nachrichten zur nächsten Poststation, von wo aus sie ohne Pause mit einem neuen Reiter und einem frischen Pferd weiterbefördert wurden – selbst über Nacht. Dieses Kettensystem beschleunigte Briefe enorm.
»Die mittelalterliche Straße ist zum Verzweifeln lang« klagte schon der Historiker Jacques Le Goff über das Fernwegenetz; es bestand vor allem aus Resten alter Römerstraßen und natürlichen Passagen. Je nach deren Beschaffenheit betrug die Reisegeschwindigkeit im besten Fall 50 bis 60 Kilometer am Tag, im Durchschnitt eher 20 bis 30. Der übliche Abstand zwischen den Poststationen schrumpfte: Anfang des 16. Jahrhunderts lag er bei etwa 30 Kilometern, Ende des Jahrhunderts bei 22 Kilometern. Vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges musste ein Postreiter nur noch 15 Kilometer zurücklegen, bis er seinen Postsack und seine Avisen an einen Kollegen übergeben konnte, der dann mit frischen Pferden weitergaloppierte. In seiner Monografie über die Geschichte der Post und des Hauses Thurn und Taxis berichtet Wolfgang Behringer, dass ein Nachrichtenbrief nun täglich bis zu 200
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