Der Dreissigjaehrige Krieg
Kaufmann Jakob Wagner noch im Dezember 1645 in sein Tagebuch; vermutlich saß er dabei im gut beheizten Kontor seiner Firma in der Oberstadt. Wagner war eine Art Buchhalter des Augsburger Weltgeschehens: In säuberlicher Kanzleischrift, der man ansieht, dass die Hand des Autors im Abfassen von Bilanzen und Warenlisten geschult ist, ließ er die dramatischen Ereignisse der Kriegszeit auf Hunderten von Blättern zu brauner Tinte gerinnen.
Zum gerade verflossenen Jahr wusste er allerdings nur zu vermelden, dass die Ernte gut gewesen sei, außer was die Äpfel betreffe. Schöne Ostern habe es gehabt, auch »einen schönen Frühling und einen guten Sommer«. Offensichtlich legte selbst die »Kleine Eiszeit« mit ihren kalten und verregneten Sommermonaten eine Pause ein. So schöpften die Menschen damals Hoffnung. Nicht nur, dass es genug zu essen gab und der Krieg wenig von sich hören ließ. Im Januar 1645 hatte den Augsburger Rat endlich eine Einladung zu Friedensgesprächen nach Osnabrück erreicht. Würde sich womöglich jetzt, im sonnenbeglänzten 27. Kriegsjahr, alles zum Besseren wenden? Die Sehnsucht nach Frieden muss gerade in der Stadt am Lech übermächtig gewesen sein.
Der Dreißigjährige Krieg hatte sie mit voller Wucht getroffen. Das Augsburg der Renaissance war eine der bedeutendsten Metropolen des Heiligen Römischen Reiches gewesen, Zentrum der Hochfinanz und der späthumanistischen Kultur; dazu, als Schauplatz wichtiger Reichstage, Brennpunkt der Politik. Besucher rühmten Patrizierpaläste, Prachtbrunnen und Lustgärten. Die Goldschmiede und Feinmechaniker der Stadt genossen europäischen Ruf. 1620, da hatte der deutsche Totentanz schon begonnen, schlossen die Zimmerleute nach fünfjähriger Bauzeit den Dachstuhl von Elias Holls Rathaus. Am Giebel funkelte ein vergoldeter Reichsadler zum Zeichen, dass Augsburg freie Reichsstadt war und damit keinem Fürsten untertan.
Die Bürgerschaft war weitgehend lutherisch. Eine politisch einflussreiche katholische Minderheit fand Unterstützung beim Bischof und den Jesuiten; weiteres Bollwerk des alten Glaubens waren die Fugger, die berühmteste und mächtigste Familie der Stadt. Dabei gestaltete sich das Zusammenleben der Konfessionen weitgehend friedlich. Der Philosoph Michel de Montaigne, der Augsburg 1580 besuchte, bemerkte, dass Heiraten zwischen Leuten unterschiedlicher Konfession Tag für Tag vorkämen. Nur während des »Kalenderstreits«, der sich 1583 an der Einführung eines neuen, dem Sonnenjahr besser angeglichenen Kalenders durch Papst Gregor XIII . entzündete, hatte sich für einen Moment gezeigt, welchen Explosivstoff die religiöse Spaltung barg. Erst der Dreißigjährige Krieg sollte die »unsichtbare Grenze« (Étienne François), die sich zwischen Protestanten und Katholiken durch Augsburgs Gesellschaft zog, hart und groß machen.
Seine Schatten vorausgeworfen hatte der Krieg durch die Hyperinflation von 1622 /23. Sie vernichtete private Vermögen und ruinierte den Stadthaushalt. Gutes Geld und mit ihm Lebensmittel verschwanden vom Markt. Hunderte verhungerten; wie so oft zeigte sich der Tod als Gefährte der Teuerung. 1628 folgte als weitere Plage die Pest. Sie war durch Soldaten und Kaufleute von Norden her eingeschleppt worden. Quarantänemaßnahmen griffen nicht. Das Verbrennen von Wacholderholz, dessen Düfte den gefährlichen Pesthauch vertreiben sollten, blieb wirkungslos. Ungerührt kroch die Seuche durch die Stadt, mordete Tausende und zog entlang der alten Heerstraße in Richtung Italien weiter.
Im Jahr darauf kam es noch schlimmer. Denn mit dem »Restitutionsedikt«, das Ferdinand II ., gestützt auf die Piken der Wallensteinschen Armee, verhängt hatte, ging es nicht mehr um sterbliche Leiber, sondern um unsterbliche Seelen. »Hier fängt der Untergang dieser Stadt an«, kritzelte Wagner, rückblickend, zum Jahr 1629 an den Rand der Tagebuch-Seite. »Und hat der Kaiser nicht gehalten, was er bei der Huldigung mit seinem Eid versprochen hat.« Augsburgs Bischof Heinrich von Knöringen, ein religiöser Eiferer, Hexenverfolger und Kriegshetzer, wurde zum willigen Vollstrecker des Edikts. Die evangelischen Kirchen und ehemals geistlicher Grundbesitz wurden eingezogen und katholischen Einrichtungen übertragen; sämtliche lutherischen Prediger und alle städtischen Bedienten, die nicht zum alten Glauben zurückkehren wollten, mussten ihren Abschied nehmen, unter ihnen »Prominente« wie der Architekt Holl. Der Rat wurde von
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